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Sparer in Urlaubslaune

Die Risiken der Bankgesellschaft standen zwar nicht auf der Tagesordnung. Wohl aber in den Köpfen. In der ersten Parlamentssitzung nach dem Sparbeschluss wollte Rot-Rot vor allem über Ferien reden

von STEFAN ALBERTI

Der Redner im Sitzungssaal spricht vom Tourismus, zitiert Statistiken aus dem Gastgewerbe. Die Reihen vor ihm weisen Lücken auf wie eine Packung Marlboro nach der Mittagspause. „Reiseziel Berlin“ steht als erster Punkt auf der Tagesordnung des Abgeordnetenhauses, 26 weitere werden folgen. Das eigentliche Thema steht nicht drauf, ist aber ein paar Parlamentszimmer weiter präsent, wo immer wieder Abgeordnete vorbeischauen.

Knapp 100 Ordner mit Zahlen und Aussagen zur Bankgesellschaft stehen dort in drei kahlen Büroräumen. Sie sollen die Basis bilden, wenn das Parlament über die Risikoabschirmung entscheidet, die Rettung der Bank vor dem Konkurs. Das passiert in 19 Tagen. Klarheit gibt es in den Fraktionen noch nicht, berichten Abgeordnete am Rande. In einem ist man sich jetzt schon einig: Dass es statt der vom Finanzsenator vorgegebenen 3,7 Milliarden Euro um die sechsfache Summe gehen wird – um über 20 Milliarden Euro, fast so viel wie der komplette Haushalt 2002.

Es ist der zweite Tag nach dem Haushaltsbeschluss des Senats. Die Gewerkschaften protestieren, in den Kitas droht ein Streik, und der Flughafenausbau kippelt nach einer Gerichtsentscheidung am Vortag noch mehr. SPD und PDS aber halten es für unverzichtbar, im Parlament in einer aktuellen Stunde über den Tourismus als Wirtschaftsfaktor zu sprechen. Ein erregendes Thema, hat Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) tags zuvor gewitzelt. CDU, FDP und Grüne schlagen Alternativen vor, wollen den Haushalt, Schulen oder den Flughafen thematisieren. „Legen Sie die Urlaubskataloge zur Seite und lassen Sie uns über die wirklich wichtigen Dinge in Berlin reden“, fordert CDU-Haushaltsexperte Nicolas Zimmer. Vergebens.

So bleibt Zeit für einen Abstecher in jene drei Büros des Abgeordnetenhauses, die Momper Datenraum nennt. 16 Exemplare der Bankunterlagen stehen in den drei Räumen, jeweils sechs Leitz-Ordner mit 1.500 Blättern. An der Tür steht Wachpersonal. Wer dort reingeht, darf kein Handy oder Aufnahmegerät dabeihaben, darf sich keine Notizen machen, muss versichern, die Lektüre nicht auszuplaudern.

Geheime Verschlusssache sind die Unterlagen, die anfangs nur der neunköpfige Vermögensausschuss zu sehen bekam. Erst auf Antrag der FDP-Fraktion können seit Montag alle Abgeordneten nachlesen, wie es um die Bankgesellschaft steht. Damit sie mehr Zeit haben, ist die Abstimmung auf eine Sondersitzung in 19 Tagen verschoben.

Gut die Hälfte der Abgeordneten hat bis zum Beginn der Sitzung einen Blick in die Akten geworfen, für den Nachmittag erwartet die Parlamentsverwaltung regen Andrang. CDU-Haushaltsexperte Zimmer hat die Zahlen schon im Vermögensausschuss gesehen und hält es angesichts der Masse für fraglich, ob die puren Zahlen Kollegen aus anderen Fachressorts bis zur Sondersitzung am 9. April viel nützen. Wie in den anderen Fraktionen diskutiert auch die Union als größte Oppositionsgruppe noch. Zimmer kritisierte am Rande der Parlamentssitzung, dass kein Zukunftskonzept für die Bank zu erkennen sei. „Da liegt der Eindruck nahe, dass die Bankgesellschaft so weitermachen könnte wie bisher.“ Konkrete Aussagen zur Perspektive der Bank vermisst auch Christoph Meyer, FDP-Vertreter im Haushaltsauschuss. „Da ist der Senat in einer Bringschuld.“

Hella Dunger-Löper, die SPD-Chefin des Hauptausschusses, des wichtigsten Parlamentskommitees, spricht von einem Meinungsbild in der SPD-Fraktion, mag aber nichts Konkretes sagen. Ihr Kollege Klaus-Uwe Benneter, Chef im Untersuchungsausschuss zur Bankgesellschaft, ist sich noch nicht ganz im Klaren darüber, wie sich die riesige Summe von über 20 Milliarden Euro im Haushalt abbilden lassen soll. Sie gelten fraktionsübergreifend als die bereinigten Risiken der Bankgesellschaft – im Klartext: So viel würde ein Konkurs der Bank kosten. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hingegen kalkuliert bislang nur mit 3,7 Milliarden als Risikoabschirmung. Für diese Summe sollten über zwölf Jahre lang je 300 Millionen Euro im Landeshaushalt eingeplant werden. „Diese Summe ist nicht belegt“, sagte Grünen-Haushälter Oliver Schruoffeneger. Seine Fraktionen will vom Senat Klarheit über die eigentlichen Risiken. Über Fraktionsgrenzen hinweg forderten Abgeordnete mehr Transparenz bei der Risikoabschirmung.

In der Sondersitzung nach Ostern werden die Reihen voraussichtlich voller sein als beim Tagesordnungspunkt „Reiseziel Berlin“ an diesem Donnerstag. Das wird aber anfangs nicht von der Tribüne zu sehen sein. Wegen der geheimen Unterlagen ist die nächste Sitzung drei Stunden lang nicht öffentlich.

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