Die Einzelkämpferin

Ihre PDS-Konkurrentin sagt, für einen wie Lafontaine hätte sie zurückgesteckt. Aber für die?

von HEIDE PLATEN

Was haben Beleuchter und Maske nur jahrelang mit dieser Frau angestellt? Harte Kontraste, dunkle Schlagschatten im Scheinwerferlicht, die Augen finster umrandet – in dieser Aufmachung tauchte sie auf, wenn sie im ARD-Fernsehen „Brennpunkte“ moderierte oder „Tagesthemen“-Kommentare las. Keine Spur davon im Frühlingssonnenschein im Café Laumer im Frankfurter Westend. Ist die Kamera ausgeschaltet, stellt man fest, dass es das Alter gut gemeint hat mit der 65-jährigen Luc Jochimsen. Ein junges, fast weiches Gesicht, die Haare rötlichbraun. Die Augen sind noch immer so stark geschminkt, wie das bei Frauen ihrer Generation in jungen Jahren Mode war. Aber sie leuchten grünbraungrau.

Seit einem Jahr ist die ehemalige Fernseh-Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks im Ruhestand. Zurückziehen wolle sie sich, hatte sie zum Abschied aus dem Funkhaus gesagt, eine „Auszeit“ nehmen, in Norditalien das Leben mit ihrem zweiten Mann genießen.

Seit Ende Februar ist es aus mit der Auszeit. Luc Jochimsen bewirbt sich um Platz eins auf der hessischen Landesliste der PDS. Ja, sagt sie, sie will tingeln gehen, die Wahlkampftour durch die Dörfer manchen, sehr gerne sogar: „Natürlich!“ In die Partei eintreten will sie nicht, sondern präferiert das Prinzip der Offenen Liste, auf der schon der Schriftsteller Gerhard Zwerenz, der SPD-Abweichler Manfred Coppik, der ebenfalls im Zorn aus der SPD ausgetretene verstorbene Frankfurter PDS-Abgeordnete Fred Gebhardt gestanden hatten.

Lukrezia Jochimsen ist eine Karrierefrau, eine Ausnahme in ihrer Generation. Das, sagt sie, verdanke sie ihren „wunderbaren Eltern“, vor allem dem Vater. Der hatte seinen beiden Töchtern früh gesagt: „Eine Aussteuer gibt es nicht!“ Dafür aber „alles, was an guter Ausbildung möglich ist und was ihr alleine schafft.“ Das Schwergewicht lag auf „alleine“, kein Geld für Nachhilfe. Von den Eltern erzählt sie „mit tiefer Dankbarkeit“. Die haben zum Glück immer gestritten. Der Vater war Atheist und Sozialist, die Mutter eine gläubige Protestantin, die sich ihren Luther nicht nehmen lassen wollte. Diese Auseinandersetzungen, sagt Jochimsen heute, waren „wunderbar politisch, ein ständiger Dialog“. Sie und ihre jüngere Schwester hätten dabei gelernt, „Werte immer wieder neu zu überprüfen“.

Jochimsen ist in Frankfurt aufgewachsen, das Abitur machte sie in der liberalen Bettina-Schule. Sie studierte in Hamburg und Münster Soziologie, Politik und Philosophie. 1961 promovierte sie bei Helmut Schelsky zum Thema „Zigeuner, eine Minderheit in Deutschland“. Warum ausgerechnet Schelsky, der zu seiner Zeit im Streit mit der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule lag und als Positivist galt? Das, sagt Jochimsen, lag daran, dass sie anwenden wollte, was sie lernte, dass ihr damals die konkreten Ansätze der Soziologie, Betriebs- und Minderheitensoziologie, näher lagen als die Theoretiker am Main, die sie seinerzeit „ehrlich gesagt gar nicht verstanden“ habe.

1964 brachte Jochimsen einen Sohn zur Welt. Dafür, habe der Vater erklärt, „hast du das Abitur aber nicht gemacht“. Aber sie wollte auch gar nicht Nur-Hausfrau sein und begann gleichzeitig ihre Karriere als freie Journalistin. Während der Studentenrevolte 1968 hat sie demonstriert und sich in der Schulpolitik engagiert. 1975 holte Peter Merseburger sie zum Politmagazin „Panorama“. Sie ging dann als Korrespondentin nach London, leitete drei Jahre lang die Redaktion Feature/Auslandsdokumentation des NDR und kehrte 1991 als Studio-Leiterin nach Großbritannien zurück. Luc Jochimsen machte sich einen Namen als Autorin von Dokumentarfilmen und Features und vor allem durch ihre scharfen Kommentare.

1994 eroberte sie den Chefredaktionssessel beim HR. Das war damals noch eine Seltenheit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, bis heute werden die zehn ARD-Sender genauso wie das ZDF von Männern als Intendanten geleitet. Chefredakteurin, das war, sagt Jochimsen und klopft so energisch auf den Tisch, dass der Espresso hüpft, „ein Qualitätssprung“. Dafür habe sie London, wenn auch „wehmütig“, verlassen. Eine Feministin sagt sie, „bin ich nie gewesen“. In deren Reihen habe sie sich nie „beheimatet“ gefühlt, bei den linken Männern ihrer Generation allerdings auch nicht: „Die waren unerträglich.“ Eigentlich sei sie immer eine Einzelkämpferin gewesen, die für sich alleine „wie ein Eichhörnchen“ Argumente sammle, das Für und Wider abwäge und dann ihre Entscheidungen treffe. Mit Angriffen von CDU und FDP gegen den „Rotfunk“ im Allgemeinen und sie im Besonderen hatte sie gerechnet. Diese waren in Hessen bei Unionspolitikern traditionell von Generation zu Generation weitervererbt worden.

Immerhin überreichte Ministerpräsident Roland Koch (CDU) der Ruheständlerin im November den Hessischen Verdienstorden und lobte ihre integrativen Fähigkeiten. Das kostete ihn nichts, denn sie war ja jetzt weg. Allerdings war es Jochimsen, die die Fernsehkarriere des CDU-Mannes Michel Friedmann mitbegründete und den Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Müller-Vogg, in ihre Polit-Talk-Runde „3-2-1“ holte. Er ehre, sagte Koch, auch „eine seiner schärfsten Kritikerinnen“.

Eben diese Verbindlichkeit nach allen Seiten macht der PDS-Basis zu schaffen. Luc Jochimsen kann die Partei spalten. Zur eilig einberufenen Regionalkonferenz Mitte März im Frankfurter Gewerkschaftshaus sitzen sich wie weiland bei den Grünen Fundamentalisten und Realpolitiker gegenüber. Die Kandidatin ist schon am Vortag nach Italien abgereist. Zurückgelassen hat sie eine knappe handschriftliche Bewerbung, in der sie versichert, nach bestem Gewissen für die Partei einzustehen.

Trotz Abwesenheit aber ist Jochimsen präsenter als ihre Kontrahentin um Platz eins auf der Landesliste. Pia Maier, die 31-jährige Marburger Politikwissenschaftlerin, sitzt schon im Bundestag und will das Mandat nicht kampflos hergeben. In einer Presserklärung hat sie Jochimsen angegriffen. Die habe doch „kein Interesse an einem Engagement innerhalb der Partei“. Der Prominenten-Bonus reiche nicht aus. Die abwesende Kandidatin dominiert an diesem Tag die real anwesende Abgeordnete und ihre Unterstützer, die sich an der Quereinsteigerin abarbeiten. Sie passe, schimpfen Jochimsens Gegner, nicht in die PDS, sei keine Parteiarbeiterin, sondern eine Karrieristin. Pia Maier meldet sich nur einmal zu Wort. Sie fühle sich vom Landesvorstand überfahren, habe fest mit ihrer Spitzenkandidatur gerechnet. Wenn nicht, habe ihr der Bundesvorstand zugesagt, dann werde sie einen aussichtsreichen Platz auf einer anderen Landesliste bekommen. Dafür sei es jetzt aber zu spät. Für „Schlager wie Schorlemmer oder Lafontaine“ hätte sie ja auch freiwillig zurückgesteckt, nicht aber für Jochimsen. So „zugkräftig“ wie die sei sie allemal, nicht nur pflichtbewusste Parteisoldatin, sondern auch „ein junges, westdeutsches Gesicht.“ Aber Pia Maier selbst wirkt an diesem Tag blass und defensiv: „Ich halte mich heute zurück. Es sei denn, es fragt mich mal wer was.“

„Dafür hast du das Abitur aber nicht gemacht“, sagte ihr Vater, als sie ein Kind bekam

Tut aber keiner mehr. Dafür wird Jochimsen umso häufiger zitiert. Im Februar habe sie der Süddeutschen Zeitung in einem Interview gesagt, sie stehe in der Sicherheitspolitik „nicht bei Schill, aber bei Schily“. Und sie habe einen Fragebogen im rechtsradikalen Wochenblatt Junge Freiheit ausgefüllt. Der Vorstand versichert immer wieder, Jochimsen habe im vertraulichen Gespräch glaubhaft gemacht, dass sie die Richtige für die Partei sei. Sie sei eben vom angelsächsischen Journalismus geprägt, der kein Lagerdenken kenne.

Das beschwichtigt die parteieigenen Gegner auch nicht. Sie fürchteten Lagermentalität in den eigenen Reihen durch eine „Zwei-Klassen-Teilung“ bei den Bundestagskandidaten. Die unscheinbaren, fleißigen Mitglieder unten und oben die Prominenz. Außerdem kenne Jochimsen „sowieso keiner“, die Frau habe „Null Signalwirkung“, komme zudem „aus dem Establishment des Westens“. Ein Streiter für Pia Maier mäkelt, es sei doch merkwürdig, wenn „Leute im Ruhestand“ sich noch einmal in der Politik profilieren wollten: „Wenn die relativ alt sind, entdecken sie auf einmal ihr Faible für den Sozialismus.“ Mit dieser Weltanschauung, vermutete ein Mitglied, hätte sie es wohl kaum geschafft, Chefredakteurin im „nicht besonders fortschrittlichen“ HR zu werden.

Dagegen sagen die Befürworter von Jochimsens Kandidatur, die PDS brauche die Prominenten „aus der etablierten Gesellschaft“ vor allem im Westen, um an Akzeptanz zu gewinnen. Die Kandidatur sei einerseits ein „Glücksfall“, andererseits sei es taktisch geboten, „den Mitnahmeeffekt“ zu nutzen. Die hessischen Vorstandsmitglieder, die sich mit 8 zu 14 Stimmen im Vorfeld auf Jochimsen geeinigt hatten, verwahren sich dagegen, dass sie sich die Fernsehfrau vom Bundesvorstand im fernen Berlin hätten aufdrücken lassen. Geschäftsführer Olaf Weichler erklärt: „Wir sind nicht ferngesteuert.“ Andere sprechen an diesem Tag in Frankfurt von Lügen und Intrigen, einem „tiefen Graben“ in der hessischen Partei: „Traurig, das ist hier jetzt wie in Berlin.“ Die Veranstaltung gipfelt im Geschrei: „Sauerei! Und das unter Genossen.“

Jochimsen hat ihre Schwerpunkte im Vorfeld festgelegt. Sie wolle sich für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen und für eine Friedenspolitik, die auf Militäreinsätze „in immer größerem Rahmen“ verzichte. Außerdem wolle sie die Einheit Deutschlands fördern. Im Westen werde gar nicht wahrgenommen, dass die PDS stärkste politische Kraft in Ostdeutschland ist. Sie sei enttäuscht von SPD und Grünen und empfinde es als ihre Pflicht, zur Verfügung zu stehen, wenn sie gerufen werde: „Es ist wichtig, dass Menschen in die Politik gehen, die nicht so in ein ideologisches Korsett eingezwängt sind.“ Morgen wird der Landesparteitag der PDS in Frankfurt endgültig über die Kandidatinnen entscheiden.