: Keine Erlösung
Entwicklung verweigert: Andreas Bodes Parzival kehrt der Artusrunde den Rücken ■ Von Annette Stiekele
Parzival – ewiger Mythos des tumben Menschenkindes, das von seiner Mutter in weltfremder Abgeschiedenheit aufgezogen wird und, angeregt durch die Begegnung mit den Artus-Rittern, selbst nach dem Glanz des Rittertums und der Gralssuche drängt. Zum ersten Mal vereinigt das Epos des Wolfram von Eschenbach aus der Stauferzeit Glaubenskraft und Charakterstärke in einem religiösen Entwicklungsroman, angelegt als Versepos.
Wie kann eine solche Mensch-werdung heute aussehen, fragte sich der junge Regisseur Andreas Bode in seiner Diplominszenierung des Parzival, jetzt auf Kampnagel uraufgeführt. Doch kein Mensch drängt hier nach ewigem Heil und erlangt eine zweite Chance von Gott. Bode hat die Sage allen erlösenden Zaubers beraubt. Wolfram von Eschenbach selbst tritt als cholerischer Lehrer auf, wobei Darsteller Dominik Maringer ein wahres Monty-Python-Talent zeigt. Angetan mit Lehrersandalen, unterweist er den Knaben mit Tageslichtprojektor im Rittertum. Angefangen von der Schlachtordung bis zur Annäherung an das weibliche Geschlecht. „Wir sind hier nicht im Mittelalter. Körperhygiene ist wichtig“, schnauzt er.
Ein unglaubliches Talent zeigt Jana Schulz als Parzival. Mit verständnislosem Blick folgt sie Wolf-rams Ausführungen und zeigt bei aller Ahnungslosigkeit eine anrührende, unbändige Lebenslust. Nanette Zimmermann hat dazu eine Holzkiste gezimmert, die die Enge der häuslichen Umgebung Parzivals transportiert. Darin wankt Claudia Renner als Mutter Herzeloyde mit langer Schleppe aus Sackstoff, metallenem Finger und kieksender Stimme hin und her.
Wie bei vielen seiner jungen Kollegen krankt die Regie Bodes allerdings an einem Zuviel an Inszenierungswut, die das grandios spielenden Nachwuchsensemble gar nicht nötig gehabt hätte. Damit die pausenlosen zweieinhalb Stunden nicht zu mühsam werden, hat Bode zudem eine Reihe munterer Lieder, gespielt von einer dreiköpfigen Liveband, eingeflochten. Die stören allerdings eher.
Obendrauf hat Dorothea Ratzel noch eine Ritterchoreographie gesetzt, bei der die Gralssucher kaum je zum Stillstand, geschweige denn zur Besinnung kommen. Als Parzival Herzeloyde eröffnet, er habe drei Ritter getroffen und wolle auch so eine tolle Rüstung haben, bricht sie samt ihrer Behausung zusammen. Der Blick wird frei für eine schwarze, hügelige Burgenlandschaft, in der die Ritter dem Gral nachjagen. Mathias Junge ist als König Artus ein schwächlicher Anführer. Seine drei Ritter springen wild von Hügel zu Hügel. Den gesellschaftlichen Auftrag nehmen sie ernst – und Parzival hart in die Pflicht. Der bringt erst einmal einen roten Ritter um und ringt dann – vergebens – um die Anerkennung in der Ritterrunde. Denn der Gral will sich nicht finden lassen.
Später, an der Gralsburg, versäumt Parzival, den leidenden Amfortas zu fragen „Was fehlt Dir?“. Doch dieser Parzival trägt sein Versagen – anders als sein mittelalterliches Vorbild – mit Fassung. Schnell entscheidet er sich für die begrenzten Freuden des irdischen Daseins mit seiner Gattin Condwiramurs. Lässt unbekümmert die großen Erwartungen der Artus-Runde und damit das ewige Glück hinter sich.
Das versöhnliche Ende der Harmonie von Gott und Mensch fehlt daher. Die Inszenierung bleibt im Irdischen verhaftet, im Verhältnis des Einzelnen zur Gruppe. Da ist kein Gott, der dem nach Höherem Strebenden eine zweite Chance gibt, den Gral zu finden. Und damit bleibt auch die Wandlung Parzivals zum Herrn des Grals aus. Und doch ist es kein trauriges Ende, als Parzival durch eine plötzlich sichtbare Tür verschwindet. Er hat sich diesmal für das Leben entschieden. Das Jenseits kann warten.
heute, 19 Uhr, Kampnagel (k2)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen