VHS will HfK komplett verhafen

■ Interdisziplinarität gegen Hochschulbauförderungsprogramm gegen Verödung der Innenstadt: VHS und Hochschule für Künste fechten um ein attraktives Gebäude: Das Alte Gymnasium in der Dechanatstraße

Mit dem Umzug in den Speicher XI am ehemaligen Überseehafen hat die Hochschule für Künste (HfK) einen großen Coup gelandet: Endlich könnte es ausreichend Platz für die bald 800 Studierenden geben. Die Fassade des fast 400 Meter langen Gebäudes ist bereits restauriert, die Rückseite wird mit großen Fensterdurchbrüchen atelier-tauglich gemacht. Im Herbst kommenden Jahres soll der Unterrichtsbetrieb im neuen Domizil aufgenommen werden.

Nun allerdings droht von anderer Seite her Ungemach: Die Volkshochschule meldet Ansprüche auf den derzeitigen Sitz der HfK in der Dechanatstraße an. Direktorin Barabara Loer: „Wir sind die einzige Großstadt-VHS im deutschsprachigen Raum, die keine innerstädtische Veranstaltungszentrale hat.“ Die Kurse verteilten sich derzeit auf 230 in der Stadt verstreute Adressen – „ein Skandal“.

Die von der VHS avisierte Skandalauflösung trifft bei der HfK auf heftigen Widerstand. Denn die will mit dem Umzug zwar ihre Dependance Am Wandrahm aufgeben, aber keineswegs die Dechanatstraße. HfK-Rektor Peter Rautmann: „Dagegen werden wir uns mit Händen und Füßen wehren. Warum sollten wir ein Gebäude aufgeben, dass mit großem Aufwand für uns hergerichtet wurde?“

Der Interessenskonflikt wird mit hochmögenden Argumenten ausgetragen. Die VHS sieht sich als idealen Brückenpfeiler der vielbeschworenen Kulturmeile („ohne uns wäre sie einsturzgefährdet“) und als „wichtiges Bollwerk“ gegen die innerurbane Verödung. Etwa 250.000 Menschen pro Jahr könne man durch die VHS-Aktivitäten zusätzlich in die Innenstadt locken.

Ähnliches nimmt auch die HfK für sich in Anspruch. Rektor Rautmann: „Wir machen in der Dechanatstraße jedes Jahr 120 Konzerte, 20 Ausstellungen und zahlreiche Symposien. Allein zu den Hochschultagen kommen jedes Mal über 3.000 Besucher.“ Doch Barbara Loer hat noch ein weiteres Argument in der Tasche: Ein Zitat des Rektors selbst. Der habe doch bei seinem Amtsantritt betont, wie wichtig die interdisziplinäre Zusammenarbeit der beiden Fachbereiche Bildende Kunst und Musik sei. Was liege da näher, als beide unter dem langen Dach des Hafenspeichers zu vereinen?

Bei der HfK ist man auf solche Argumente vorbereitet. In der Tat sei es für den kreativen Austausch der Künste günstig, dass in der Dechanatstraße Teile der Bildenden Kunst mit den MusikerInnen zusammen arbeiteten. Nur: Jetzt platze das Gebäude vollends aus allen Nähten. Ab Oktober sollen hundert neue Studierende dazukommen – die MusikpädagogInnen, deren Ausbildung von der Uni an die HfK verlagert wird. Zudem gibt es seit vergangenem Jahr den Studiengang „Digitale Medien“. Zur Deckung des Raumbedarfs (der im übrigen genau definiert ist: 18 Quadratmeter pro Studierendem in der Freien Kunst, zehn bis zwölf für einen Musiker oder Designer) seien also Speicher und Dechanatstraße erforderlich. Sarah Hillebrecht vom Asta des HfK bestätigt: „Der Mangel an Arbeitsplätzen in der Hochschule beeinträchtigt unser Studium. Im Endeffekt muss man sehr viel zu Hause machen, jeder für sich allein im Kämmerlein.“

Rautmann ergänzt: Zum ersten Mal in der Geschichte der Hochschule für Künste würden Maler, Bildhauer und Designer ein gemeinsames Haus bekommen – anstatt wie im Verschiebebahnhof durch Ausweichquartiere geschleust zu werden. Dafür müsse man die räumliche Trennung zwischen Musik und Bildender Kunst in Kauf nehmen. Die weiter gefasste Interdisziplinarität treibe man verstärkt durch die Förderung fachbereichsübergreifender Projekte voran. Paradebeispiel: Das derzeitige John-Cage-Projekt, an dem über 100 Studierende verschiedener Fächer beteiligt seien.

Eine lange Parade auf den Loer'schen Ausfall. Dann greift die HfK ihrerseits zu einem schweren Geschütz: Geld. Genauer: Die Bestimmungen des Hochschulbauförderungsgesetzes. HfK-Kanzler Markus Wortmann holt aus: „Wenn wir aus der Dechanatstraße rausgehen, muss Bremen 9,6 Millionen Mark an den Bund zurückzahlen.“ In dieser Größenordnung nämlich sei der Umbau zur Hochschule gefördert worden – mit Rückzahlungsverpflichtung, wenn die ursprüngliche Nutzung aufgegeben werde.

VHS knocked out? Barbara Loer bleibt locker. Sie habe sich den entsprechenden Paragraphen („es ist die Nummer 12“) genau angeschaut und folgenden Passus gefunden: Lediglich die Hälfte des „aktuellen Verkehrswertes“ müsse bei „Zweckentfremdung“ zurückgezahlt werden. Nun: Über „Entfremdung“ könne man streiten, und der Verkehrswert der Dechanatstraße werde – zunächst noch intern – auf knapp vier Millionen Mark geschätzt (Einwurf Rautmann: „Eine hochspekulative Zahl!“). Die verbleibenden zwei Millionen könne man ruhig zurückzahlen, wenn man andererseits vom Bund erkleckliche Millionen Mark für den Speicher XI bekomme (dort 27,5 Millionen Mark verbaut, die der Bund zur Hälfte beisteuert).

Einen Moment, Frau Loer, ginge nicht alles viel einfacher, wenn Sie einfach in den Wandrahm gehen? Offenbar weit gefehlt: „Dort haben wir nicht genug Platz“, erklärt die resolute Direktorin. Die VHS benötige mindestens 3.600 Quadratmeter Hauptnutzfläche, das Gebäude Am Wandrahm verfüge inklusive aller Flure nur über 2.900.

Da hat der Herr Wortmann aber anders gemessen, müssen wir an dieser Stelle einfügen. Stolze 3.762 Quadratmeter Hauptnutzfläche habe das Gebäude Am Wandrahm – mithin sogar mehr als die Dechanatstraße (3.496). Zollstock, übernehmen Sie!

Also, wie jetzt – müssen alle Künstler in den Speicher, dafür aber in den ganzen? Bislang sind drei Fünftel der Fläche für die HfK vorgesehen. Daneben soll eigentlich das Focke-Museum sein Hafenmuseum aufbauen. Allerdings ist noch unklar, ob die dazu notwendigen Betriebsmittel zusammenkommen. Sollte das Pech des Fockemuseums über dem Umweg der kompletten HfK-Verhafung zum Glück der Volkshochschule werden?

Der intellektuelle Schlagabtausch hat die erste Runde hinter sich, jetzt schlägt die Stunde der Politik. Willi Lemke und Kuno Böse, die zuständigen Senatoren, werden nach bremischen Lösungen suchen, also erstmal zusammen essen gehen. Der SPD-Unterbezirk Stadt indes hat sich bereits für die VHS stark gemacht. Wolfgang Grother, der Vorsitzende, glaubt trotzdem an eine dialektische Lösung: „Vielleicht löst sich das alles ganz natürlich auf.“ Fragt sich nur, zu wessen Wohlgefallen.

Henning Bleyl