■ Nach dem Tumult im Bundesrat um das Zuwanderungsgesetz fürchten LeserInnen:: Es droht ein schäbiger Wahlkampf
betr.: „Wandertag im Bundesrat“, taz vom 23./24. 3. 03 und weitere Berichterstattung zum Zuwanderungsgesetz
Mit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes wurden einige wichtige Grundsatzentscheidungen getroffen, die für die Zukunft unserer Gesellschaft von essenzieller Bedeutung sind: Mit der Lebenslüge, Deutschland sei kein Einwanderungsland, ist auch rechtlich Schluss. Es wurde endlich erkannt, dass die Integration sich nicht als Forderung allein an die Migranten richtet, sondern vielmehr eine staatliche Aufgabe ist. Immerhin wurde mit den Übergangsregelungen (§§ 99 und 102) sichergestellt, dass die bereits in Deutschland lebenden Migranten von den erhöhten Anforderungen weitgehend ausgenommen werden. Auch die allgemeine Härtefallregelung gibt den Ländern die Möglichkeit, in besonderen Fällen humanitäre Lösungen zu finden.
Es wird uns in der nächsten Zeit die Frage beschäftigen, ob das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat am 22. März 2002 verfassungskonform verabschiedet worden ist, weil die Führung der Unionsparteien nach wie vor das Thema auf jeden Fall in den kommenden Wahlkampf einbeziehen will.
Der Bundesausländerbeirat warnt davor, dieses sensible und komplexe Thema mit populistischen Tönen auf die Straße zu tragen und auf dem Rücken der Migranten Politik zu betreiben. Alles deutet darauf hin, dass die hilflosen Unionsparteien diesen schäbigen Weg nehmen werden. Wir werden einen solchen Wahlkampf nicht lautlos über uns ergehen lassen. Der Bundesausländerbeirat ist mit seinen 13 Landes- und über 400 Lokalorganisationen bereit und in der Lage, den fremdenfeindlichen Misstönen im Wahlkampf mit größter Entschiedenheit zu begegnen.
MEMET KILIC
Vorsitzender des Bundesausländerbeirats Wiesbaden
Minister Schönbohms Spruch „Ich wähle Ungnade, wo Gehorsam keine Ehre bringt“ ist nicht nach einem General von Friedrich II. zitiert. Das Zitat stammt von der Inschrift auf dem Grabstein eines Oberstleutnants Johann F. A. von der Marwitz in Friedersdorf. Genau heißt es: „Er sah Friedrichs Heldenzeit und kämpfte mit ihm in allen seinen Kriegen, wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre einbrachte.“ Besagter Oberstleutnant hatte sich kriegsverbrecherischen Befehlen widersetzt, die von Friedrich II. erteilt worden waren. Nachzulesen in: Bernt Engelmann, „Preußen“, 1979. JÖRG TOHSCHE
Preußen lebt und Bayern bebt. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe gebührt Anerkennung für sein couragiertes Verhalten im Bundesrat. Im Gegensatz zu etlichen seiner Kollegen ließ er sich nicht dazu hinreißen, bundespolitische Wahlkampfpropaganda zu betreiben, sondern entschied rein sachorientiert mit Blick auf das ihm anvertraute Bundesland. Gemäß preußisch-brandenburgischer Gepflogenheit, nach der das politische Oberhaupt erster Diener im Staat zu sein habe, ordnete er sein persönliches politisches Schicksal dem märkischen Allgemeinwohl unter. Künftige Generationen werden es ihm danken!
RASMUS PH. HELT, Potsdam
Der Wahlkampf hat begonnen. Befürchtungen, CDU/CSU würden – und wer kann solche Befürchtungen besser befürchten als wir Hessen – die Zuwanderung und summa summarum die Ausländerpolitik erneut zum Gegenstand eines Wahlkampfes und zu einem möglichen Vehikel für Stimmenfang im rechten Lager degradieren, haben sich mehr als bestätigt. Die heutige Abstimmung im Bundesrat war eine Wahlkampfveranstaltung ohne Moderation. Geschickt eigentlich, denn das gefürchtete Kräftemessen endete in einem keiner Partei so kurz vor der Wahl schadenden Remis. Jetzt haben SPD wie CDU/CSU die Option, ihre mögliche Niederlage auf verfassungsrechtliche Missstände zu schieben. Der einzige Verlierer, der schon jetzt in Ketten liegt, ist die Politik im Ganzen in der Gunst der Wähler.
Die Zuwanderung ist notwendigerweise zu klären. Doch wer nun wann, wie und mit welchem „Anhang“ nach Deutschland einreisen darf, bleibt Gegenstand dessen, was die jeweiligen Parteien als opportun ansehen. Wer von einer Zuwanderung nach dem Willen der SPD einen wirtschaftlichen Aufschwung ähnlich dem der 50er- und 60er-Jahre erwartet, wird ebenso enttäuscht sein wie von der Mobilmachung der CDU/CSU, mit weniger Zuwanderung binnen kürzester Zeit die gegenwärtigen Probleme zu lösen und Deutschland zu einer führenden Wirtschaftmacht mit ausschließlich deutschen Führungskräften zu machen.
BENJAMIN MASUCH, Weinbach
Wer Ausländerpolitik seit Jahrzehnten auf dem Niveau der alten Karnevalsfrage „Wolle mer se roilasse?“ betreibt, der muss sich nicht wundern, wenn ihm auch mal der Auszugsmarsch geblasen wird. Insofern war der Wowereit-Trick im Bundesrat die passende Antwort auf das Dumpfbackentum der CSU/CDU in Sachen Zuwanderungsgesetz. Für einen kurzen Augenblick konnte man sich einbilden, den Pfeifenrauch Herbert Wehners („Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen“) wieder zu riechen, und das weckte in mir klammheimliche Freude, erinnerte es doch an bessere Zeiten einer noch nicht verschröderten und verblairten SPD.
Aber jetzt kommt raus, die ganze Show – inklusive des Rumpelstilzchenauftritts von Roland Koch! – war vorher miteinander abgekaspert, damit die beiden Preußenschädel Stolpe und Schönbohm ihrer Parteiräson treu bleiben und trotzdem weiter Koalition machen dürfen. Ein kalkulierter Ehebruch sozusagen, der im Voraus schon männerbündisch verziehen war. So ist das also, wenn Preußen schummeln! Buh!!! Frank Zappa hat gesagt: „Politik ist der Unterhaltungszweig der Industrie.“ Okay, weiß ich, aber dass das Niveau der Show ständig sinkt, das finde ich echt mies.
HANS-JOACHIM GREIFENSTEIN, Babenhausen
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