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„Die Mannschaft ist giftig“

Am Samstag beginnt die Tischtennis-EM und die deutschen Spieler versprechen sich viel, allen voran Timo Boll

HEIDELBERG taz ■ Die banalen Fragen, die gestellt werden, sind ein gutes Zeichen. Gibt es in diesem Sport Skandale? Nein. Hat er noch seine Freundin? Ja. Die Zelluloidartisten, die von Ostersamstag bis 7. April an der Europameisterschaft in Zagreb teilnehmen, grinsen über solche Fragen, auch Timo Boll, 21 Jahre alt. Er ist mittlerweile bis auf Platz fünf der Weltrangliste vorgestürmt.

Erfolge konnte der Deutsche Tischtennis-Bund seit dem WM-Titel des Doppels Jörg Roßkopf/Steffen Fetzner 1989 in Dortmund zuhauf erzielen. Vor allem in der Europaliga reihte sich Sieg an Sieg. Ein Boom wie damals will sich aber nicht so recht einstellen. Die eingedeutschten Chinesinnen um Europameisterin Qianhong Gotsch, Jie Schöpp und Jing Tian-Zörner taugten kaum als Identifikationsfiguren. Blieb der 32-jährige Roßkopf, der jedoch immer häufiger – wie auch jetzt in Kroatien – wegen Verletzungen passen musste.

Nach neuen Gesichtern lechzt vor allem das Fernsehen. Da kommt einer wie Timo Boll gerade recht. Nicht nur dass Roßkopfs Mannschaftskamerad beim TTV Gönnern die Weltelite aufmischt, der junge Bursche verfügt auch noch über einen „hohen Boygroup-Faktor“, wie die Frankfurter Rundschau befindet. In Japan kletterten Teenies sogar auf Bäume, um den Hessen im Umkleideraum zu beäugen. Fast schon asiatische Verhältnisse entwickeln sich nun während der EM: Eurosport berichtet live, das ZDF, das sich 2000 bei Olympia in Sydney dadurch hervortat, den Achtelfinalisten Boll für wenige Bilder über den Strand zu scheuchen, plant ebenfalls „ein paar Stücke“. Womöglich sogar im Sportstudio („Mit Live-Schaltung, aber nur, wenn du ins Finale kommst!“, so der ZDF-Reporter) und Sport-Reportage („Wenn du das Finale gewinnst!“).

Cheftrainer Dirk Schimmelpfennig weiß um die Gunst der Stunde: „Die Mannschaft ist hungrig und giftig. Timo hat es selbst in der Hand, dass viel von uns gezeigt wird.“ Die Bilanz von Bremen mit nur einem EM-Titel hofft Boll zu übertreffen. Das Team-Quintett, in dem Torben Wosik (Frickenhausen) nach Roßkopfs Ausfall zweiter Führungsspieler ist, gilt als Mitfavorit hinter Schweden.

Je nach Gegner – im Viertelfinale trifft der gesetzte Europaliga-Sieger auf Holland oder Jugoslawien – rückt einer der jungen Spieler, Lars Hielscher, Bastian Steger (beide Borussia Düsseldorf) oder Zoltan Fejer-Konnerth (Gönnern), auf Position drei. In Zagreb will Fejer-Konnerth auch im Doppel mit Boll eine Medaille holen. Möglichst die goldene soll es für die Weltcup-Dritten sein.

„Wir jagen nach Siegen“, unterstreicht Herren-Bundestrainer Istvan Korpa. Auch die Damen um die wiedererstarkte fünffache Europameisterin Nicole Struse und ihre Doppelpartnerin Elke Wosik (vormals Schall), die „als Krönung ihrer Ehe“ mit Gatte Torben im Mixed „nach den Sternen greifen will“, haben in allen Disziplinen Chancen auf Edelmetall. Timo Boll im Einzel sowieso. Gibt es dennoch Angstgegner? „Steger!“, scherzt der 20-jährige Bastian Steger und blinzelt vergnügt wie Skisprung-Olympiasieger Simon Ammann durch seine Nickelbrille. Boll fürchtet keinen Kontrahenten. Am ehesten Abwehrspieler, weil diese dem inzwischen konditionsstarken und schnellen Linkshänder viel Kraft abverlangen.

Ein Endspiel gegen Wladimir Samsonow könnte sich der 21-Jährige gut vorstellen. Genauso wie der Weltranglistendritte: „Gegen Timo – das wäre ein tolles Finale!“ Nur das Endergebnis vom Top-12-Endspiel würde der Favorit aus Weißrussland allzu gerne umdrehen. In diesem Finale hatte Boll einen Matchball gegen sich, bemerkte das aber gar nicht, wehrte ihn unbekümmert ab und gewann noch im siebten Satz mit 4:3.

HARTMUT METZ

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