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Gewerkschafter gegen Gewerkschafter

Weil sie sich dem flexiblen Kurs der IG Metall im Tarifrecht widersetzt, sieht sich eine Betriebsrätin bedrängt

BERLIN taz ■ In Nürnberg kracht’s. Der mittelständische Elektronikkonzern Semikron schrumpft: durch Produktionsverlagerung nach Brasilien und Italien. 875 Nürnberger Beschäftigte bangen um ihre Arbeit – und um ihre Interessensvertretung. Denn die Nürnberger IG Metall (IGM) verhandelt eine Aufweichung des Tarifrechts: Befristete Arbeitsverträge, Wochenend- und Wechselschichten sowie Altersteilzeitstellen sollen das Werk profitabler machen.

Dafür steht die Gewerkschaft im Gewitter der Kritik. Die Mehrheit der Semikron-Belegschaft ist gegen die Neuerungen, befürchtet neben Lohnrückgang quasi-amerikanische Verhältnisse, Motto: „hired and fired“. Ein Streiter fürs alte Tarifrecht wurde bereits abgestraft: Die IGM schloss den ehemaligen Semikron-Physiker und heutigen Professor Josef Lutz wegen angeblichen zu linken und Nato-kritischen Äußerungen einfach aus (die taz berichtete).

Jetzt sieht sich auch Lutz’ Entlastungszeugin und Mitstreiterin bei Semikron, die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Gudrun Ott, von den Funktionären bedrängt. Gegen Ott, 51 und SPD-Parteigängerin, richtet sich ein Rundbrief, den die IGM Nürnberg kurz vor der Betriebsratswahl im März an Privatadressen verschickte. Darin heißt es, es gebe ein neues Wahlverfahren, welchem Ott nicht gerecht würde: „Statt Persönlichkeitswahl gibt es nun Listenwahl.“ Das vierseitige Schreiben, das Ott Wortbruch unterstellt, mündet im Aufruf, Otts Gegenkandidaten Ernst Kuttruf zu wählen. Der stehe für „gute Kompromisse“ mit Semikron: „Auf Vorhaben einer Firma einfach nein zu sagen“, wie Ott es tue, reiche nicht.

Bei so viel Verständnis der Gewerkschaft für den Arbeitgeber sei es wohl „kein Zufall“, dass der 1. Bevollmächtigte des Ortsvorstands vom Semikron-Geschäftsführer privat eine Villa anmietete, meint Ott. Die Montagefachkraft fühlt sich wie verstoßen. Seit 1980 ist sie im Betriebsrat, 18 Jahre war sie dafür freigestellt. Sie kämpfe für Arbeitsplätze, sagt sie, aber dass die IGM ihr jetzt kein Ausschlussverfahren anhänge, liege nur an der Solidarität ihrer Kollegen.

Die Belegschaft entschied sich für sie: Bei der Betriebsratswahl letzte Woche erhielt Otts Liste trotz des IGM-Rundbriefs 330 Stimmen – mehr als doppelt so viel wie die Gewerkschaftsliste. Verärgert ließ Kuttruf daraufhin eine Sitzung schlicht platzen. Der IGM-Bundesvorstand in Frankfurt am Main, der organisatorisch mit Warnstreiks im Osten beschäftigt ist und sich trotz zaghafter Kritik an der SPD noch immer auf Schröder-Kurs befindet, duldet das Gebaren der fränkischen Ortsgruppe. „Wir mischen uns in regionale Angelegenheiten nicht ein“, sagt Sprecher Claus Eilrich. Er streitet einen Zusammenhang zwischen dem Krach ums Tarifrecht und der Ächtung von Aufmüpfigen ab. Dabei gibt es in Ludwigsburg bei der Firma Mann + Hummel ähnlichen Zoff: ebenfalls ums Tarifrecht.

Bei Semikron indes muss sich, laut Satzung, heute der Betriebsrat konstituieren. Es knistert vor Spannung – nicht nur wegen der Elektrizität. GISELA SONNENBURG

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