: Der Frieden geht jetzt auch Online
Online demonstrieren ist einfach und bequem: Wer zu Hause einen Rechner mit Internetanschluss hat, muss nur eine zeitgesteuerte Online-Protest-Software herunterladen. Aber auch in der Firma oder im Internetcafé ist der Angriff möglich: Die Aktivisten müssen auf der Homepage nur ein Javascript starten – und schon wird in maximaler Geschwindigkeit die Seite geladen, die attackiert werden soll. Ist die Demo vorbei, wird das Programm vom Rechner gelöscht.
„Beim ersten Mal war ich nervös und aufgeregt“, sagt Sven Maier. Und auch etwas belustigt. Denn die Behörden hatten die E-Mail-Anmeldung für die öffentlich organisierte Online-Demonstration gegen die Lufthansa (siehe Kasten) wie eine heiße Kartoffel hin- und hergeschoben. Virtuelle Sit-ins waren bis dahin hier zu Lande unbekannt. Das Justizministerium beeilte sich zu betonen, dass das Internet kein öffentlicher Raum sei.
Das sieht Sven Maier anders. „Natürlich ist das Internet ein öffentlicher Raum“, sagt der 30-Jährige mit den dunklen Haaren, der lieber über Online-Aktionen als über sich selbst spricht. Das passt zur Anonymität des Mediums. Nur so viel: Der gelernte Krankenpfleger und Werkzeugmacher ist mit dem PC groß geworden, aber „nicht der Prototyp des Tamagotchi-Kids“. E-Mails fand er „völlig faszinierend“. Anfang der 90er-Jahre interessierte er sich für linke Newsgroups und Webseiten – und dann wollte er wissen: „Funktioniert der zivile Ungehorsam im Netz?“
Das Zauberwort heißt DDoS – „Distributed Denial of Service Attacks“. Dabei werden automatisch immer wieder Anfragen an einen Webserver geschickt, bis dieser unter dem Datenmüll zusammenbricht. Daher der Begriff „Verweigerung des Dienstes“. Mittlerweile hat sich der Trubel um virtuelle Sit-ins etwas gelegt, aber noch immer ermittelt die Staatsanwaltschaft auf Betreiben der Lufthansa. Die Ermittler stehen vor der fast unlösbaren Aufgabe herauszufinden, wer mit seinem „Enter“-Klick die Website zum Hängen brachte. Zudem ist bei den gesendeten Datenpaketen meistens der Absender gefälscht.
Online-Protest als Katz- und Mausspiel mit den Behörden? Sven Maier schüttelt den Kopf und spricht von einer Möglichkeit, „die politische Diskussion weltweit zu beeinflussen“. Dass effektiv nicht wirklich etwas bewirkt wird, stört ihn nicht. Denn: „Die Proteste drücken etwas aus.“ In der Schnelligkeit, mit der auf aktuelle Geschehnisse reagiert werden kann, sieht Maier einen großen Vorteil des Internets. So ist er überzeugt, dass ein US-Angriff auf den Irak postwendend beantwortet würde – mit einem Angriff auf die Webseite der amerikanischen Botschaft.
Oft hört Sven Maier den Vorwurf, dass Online-Demonstranten zu faul seien, vor die Tür zu gehen. „Das sind Ressentiments.“ Schließlich könnten die Leute im Internet mitmachen, „egal, wo sie wohnen, ob die Kinder krank sind und wie das Wetter ist.“ Und er vergisst nicht, seine letzte Straßendemonstration zu erwähnen. Gegen den Krieg in Afghanistan.
Maier bewegt sich in der virtuellen und der realen Welt. Er engagiert sich für Asylbewerber und organisiert Internetkurse für Flüchtlinge. „Ich bin der Letzte, der meint, Straßendemos braucht man nicht“, betont er.
Der Grund: „Im Internet fehlt das Gefühl, Teil einer größeren Gruppe zu sein, die zusammen etwas unternimmt.“
Der Lufthansa-Blockade ist keine ähnlich große Aktion gefolgt. Das mag daran liegen, dass viele nicht wissen, wie man eine virtuelle Demonstration organisiert. Maier verweist auf Bausätze unter www.online-demonstration.org. Er ist überzeugt, dass sich diese Art des Protestes etablieren wird. Doch zugleich prognostiziert er deren Ende. Sobald sich Online-Proteste institutionalisiert haben, werde sich niemand mehr dafür interessieren.
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