: Optischer Nachhall, geistergleich
■ Non-perspektivische Medienkosmen: Luis Camnitzer und Alfredo Jaar im Dialog
Vom Elend der Welt machen Fotojournalisten genügend Bilder, aber das bloße Vorzeigen eines Phänomens reicht schon lange nicht mehr aus, damit es auch wahrgenommen wird. So bleiben Menetekel wirkungslos. Und Tote ohne Erinnerung sind wie doppelt gestorben. In dieser Situation kann gerade Kunst Erinnerung und Reflexion einfordern, wo Krankheit und Tod verdrängt und vergessen werden.
Wie aber Bildintensität künstlerisch durch Leerstellen zu steigern ist, führen zur Zeit die in New York lebenden Künstler Luis Camnitzer und Alfred Jaar in der Galerie Basta vor. Die Ausstellung heißt Dialogue, weil der 1937 in Lübeck geborene, in Uruguay aufgewachsene Camnitzer mit seinem Fotoraum auf die Installation eines Freundes, des Chilenen Alfredo Jaar, antwortete. Dessen Video Epilogue ist ein ebenso kurzes wie eindrucksvolles Statement gerade dadurch, dass die meiste Zeit nur die leere Projektionsfläche zu sehen ist. Nur ganz langsam schält sich aus dem kalten Weiß ein dunkles Gesicht. Doch kaum erkennbar, verblasst es geistergleich schon wieder, erzeugt aber im Auge ein verwirrendes Nachbild. Es handelt sich um eine 88-jährige Frau namens Caritas, die in den Wirren des Völkermordes 1994 in Ruanda heimatlos geworden war. Aber auch ohne dieses Wissen entfaltet die verlangsamte, ungenaue und dennoch eindrückliche Wahrnehmung einer Person Intensität.
„Ich glaube, es ist dringend geboten, langsamer zu werden, jedes Bild sorgfältig zu kontextualisieren und zu rahmen, so dass es einen Sinn ergibt und nicht fallen gelassen werden kann“, hat Jaar einmal als Beweggrund für seine Installationen genannt. Und doch ist der 46-jährige Chilene bei allem moralischen Anspruch Künstler genug, seine Arbeit nur als „vergebliche, utopische Übung“ zu bezeichnen.
Eine vergebliche Übung ist es auch, in das Zentrum des fragmentierten Raumes zu gelangen, den Luis Camnitzer aus New York mit Hilfe von Fotos in die Galerie übertragen hat. Die über 50 eher kleinen, an alle Wände gehängten Fotos sind Bruchstücke einer das Pflaster und den Himmel einbeziehenden Rundumsicht einer unauffälligen Straße mit Autos, Graffitti und dem Schlafplatz eines Obdachlosen. Wieder intensiviert sich die Wahrnehmung der Details durch Weglassen, wieder wird die Aufmerksamkeit geschärft dadurch, dass dem Blick etwas vorenthalten wird.
Mit den beiden Installationen ist Galerist Uwe Mokry ein bemerkenswerter Coup gelungen: Denn nach zahlreichen Teilnahmen an internationalen Biennalen wie Venedig und Sao Paulo, Kwangju und Havanna, mit ihrer internationalen Biografie und ihrem medienkritisch-ethischen Kunstverständnis, gibt es gute Gründe anzunehmen, dass Luis Camnitzer und Alfredo Jaar auch auf der Liste der im Juni beginnenden Documenta XI stehen werden. Hajo Schiff
Luis Camnitzer, Alfredo Jaar – Dialogue, Galerie Basta, Großheidestraße 21, Di–Fr 14–19, Sa 11–14 Uhr; bis 4. Mai
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