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„Konsequenter und zielgenauer“

Geert Mackenroth, der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, bevorzugt das Stuttgarter Modell der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Beim Vorschlag der Bundesregierung drohe die Präventivhaft als „Massenphänomen“

taz: Herr Mackenroth, halten Sie nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung für sinnvoll?

Geert Mackenroth: Ja, denn hier wird eine Sicherheitslücke geschlossen. Wenn sich erst während der Haftzeit ergibt, dass der Häftling voraussichtlich weitere gefährliche Straftaten begehen wird, dann kann die Haftentlassung bisher nicht verhindert werden. Man muss derzeit buchstäblich warten, bis der Täter erneut zugeschlagen hat.

Wie groß ist diese Sicherheitslücke? Mit wie vielen nachträglichen Anordnungen rechnen Sie?

Es wird bundesweit wohl kaum mehr als zwanzig Fälle pro Jahr geben. Eine so tief eingreifende Vorsichtsmaßnahme wie die zeitlich unbestimmte Inhaftierung kann nur in sehr eindeutigen Fällen angewandt werden.

Wie unterscheidet sich der Gesetzentwurf aus Baden-Württemberg von demjenigen der Bundesregierung?

Nach dem Entwurf der Bundesregierung kann die Sicherungsverwahrung nur dann nachträglich angeordnet werden, wenn das Gericht bei seinem Strafurteil einen ausdrücklichen Vorbehalt ausgesprochen hat. Beim Stuttgarter Modell ist ein solcher Vorbehalt im Strafurteil nicht erforderlich.

Welchen Gesetzentwurf favorisieren Sie?

Der baden-württembergische Ansatz schließt die Sicherheitslücke konsequenter und zielgenauer.

Inwiefern?

Der Ansatz der Bundesregierung versagt, wenn es zum Zeitpunkt des Urteils keinerlei Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr gab. Hier müsste ein Täter, der eine tickende Zeitbombe für die Allgemeinheit darstellt, weiterhin sehenden Auges entlassen werden. Außerdem greift das Vorbehaltsmodell nur für zukünftige Verurteilungen, während die Stuttgarter Konzeption – wo notwendig – auch die bereits verurteilten Straftäter erfasst.

Sie bevorzugen den Stuttgarter Entwurf also vor allem, weil er schärfer ist?

Ich sagte: zielgenauer. Schließlich besteht bei der Konzeption der Bundesregierung sogar eher die Gefahr, dass die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung zu einem Massenphänomen wird.

Wie das?

Wenn das Strafgericht die Anordnung von Sicherungsverwahrung vorbehält, dann ist das erst mal nur ein Merkposten für später. Da kann es gut sein, dass Richter auf Nummer Sicher gehen und den Vorbehalt ohne innere Überzeugung aussprechen – damit man ihnen später nichts vorwerfen kann. Es ist ja auch noch keine endgültige Entscheidung. Diese trifft dann einige Monate vor der Entlassung die Strafvollstreckungskammer …

Dort aber könnte man sich davon beeindruckt zeigen, dass schon ein gerichtlicher Beschluss vorliegt …

Das ist zumindest eine Gefahr. Aber selbst wenn die Zahl der Anordnungen am Ende nicht höher wäre als beim Stuttgarter Ansatz: Schon die drohende Sicherungsverwahrung ist eine schwere Belastung. Schließlich weiß der Häftling nicht, ob er nach Verbüßung seiner Strafe das Gefängnis je wieder verlassen kann. Auch Vollzugslockerungen oder Hafturlaub werden bei vorbehaltener Sicherungsverwahrung wohl kaum genehmigt.

Rot-Grün bevorzugt das Vorbehaltsmodell aus verfassungsrechtlichen Gründen, weil sonst eine Doppelbestrafung drohe. Wollen Sie darüber hinweggehen?

Ich sehe nicht, warum das Stuttgarter Modell verfassungswidrig sein sollte. Sicherungsverwahrung ist schließlich immer eine Maßregel, die mit Blick auf begangene Taten vor zukünftigen Gefahren schützt, egal ob die Maßregel direkt nach einer Tat oder kurz vor der Haftentlassung angeordnet wird.

Muss es ein Bundesgesetz sein? Warum sollen nicht die Länder, die wollen, dem baden-württembergischen Beispiel folgen?

Die Sicherheitslücken sollten bundesweit geschlossen werden. Zudem hat die Öffentlichkeit wohl wenig Verständnis dafür, wenn sich der Umgang mit Gewaltverbrechern von Land zu Land stark unterscheidet. INTERVIEW: CHRISTIAN RATH

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