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Die Tränen der Berge

Alltäglicher Horror: Arbeiten von Philippe Mayaux und Zilla Leutenegger in den Galerien Kamm und Wellerdiek

Reagierten unmittelbar nach den Anschlägen des 11. 9 viele Künstler mit hastigen Collagen des apokalyptischen Szenarios, so wenden sie sich jetzt wieder dem alltäglichen Horror im allzu Vertrauten und in der vermeintlichen Oase des Privaten zu.

Der subtile Schrecken ist es, den Philippe Mayaux mit seinen Arbeiten bannen will. Die Objekte, die er in der Galerie Wellerdiek zeigt, geben vor, aus dem Kinderzimmer entflohen zu sein. Auf ihrem Weg in die raue Wirklichkeit sind aus ihnen allerdings unversehens bösartige Plagegeister geworden. So offenbaren zwei kleine, zuckerweiße Gebirge erst auf den zweiten Blick, in welch verzweifeltem Dialog sie miteinander stehen. Aus der Frontseite des einen Bergkammes bläst es auf das zaghaft züngelnde Lichtlein im See aus Wachs des gegenüber liegenden Hügels. Die derart untrennbar verbundenen Zuckergebirge scheinen um ihre tragische Verkettung zu wissen. Kleine Tränen sondern sie ab, „die Weinenden“ ist die Installation betitelt. Die beiden Berge verbindet ein zwischen ihnen hängender Spiegel. Auch andere Objekte reflektieren den Betrachter, der so unweigerlich in das rührige Gewusel der Installationen hineingezogen wird. Alle Sinne des normalerweise träge vor sich dahindämmernden Galeriebesuchers attackiert Mayaux mit seinen trickreichen Assemblagen.

Brachiales Pathos ist ihm dabei ebenso fremd wie bunte Effekthascherei. „Die Dinge führen Krieg. Den sieht man nicht sofort, aber er ist da“, meint Mayaux. Dieses Statement bestätigen auch zwei sich endlos reflektierende Spiegelwände. Sie sind verbunden durch eine Minieisenbahn. Das harmlose Kinderspielzeug pendelt ruhelos getrieben zwischen den beiden Flächen. So nett, wie das kleine Modell zunächst erscheint, ist es jedoch nicht. Spitze Nägel ragen an seinen Seiten und attakieren beim Aufprall die Spiegel mit lautem „Klack“, zerkratzen die Fläche.

Weiß ist der vorherrschende Ton der Installation von Zilla Leuteneggerin der Galerie Kamm. „Kuriositäten für die Nacht“ verspricht die Künstlerin und vielleicht träumt sie tatsächlich von merkwürdigen Dingen, während sie im Schlaf auf dem Videoschirm lächelt. Die inneren Welten, der Widerschein des Alltäglichen im Privaten, die Spiegelung der ganz intimen Wünsche und Träume auf der medialen Oberfläche interessieren die Schweizerin. Dabei weiß sie ihre sparsamen Mittel gezielt einzusetzen. Die ephemer erscheinende, mit Licht gemalte Zeichnung an der kahlen Galeriewand entpuppt sich als Umriss einer schlafenden Figur, eben der Künstlerin. Das installierte Video zeigt gleichfalls die reduzierte Silhouette einer Schlafenden. Die langsamen Bewegungen der beiden Figuren, das ruhige Atmen, das Aussparen jeder störenden Umgebung, all das schafft eine Inszenierung, in der die darstellende Person nur ein Zeichen für die offenbarte Innenwelt ist. So wird der gezeichnete Traum real. Das spartanische Arrangement bildet einen Raum, der an ein Gleichnis des Philosophen Lacan erinnert. Der erzählte von einem Chinesen, der träumte ein Schmetterling zu sein. Als er aufwacht, weiß er jedoch nicht mehr, ob er ein Chinese ist, der geträumt hat, ein Schmetterling zu sein, oder ein Schmetterling, der in diesem Moment träumt, ein Chinese zu sein.

Leutenegger fängt das private Moment des Schlafes mit dem flatterhaften Blick der Videokamera ein. Sie kehrt dabei nicht lediglich Innerlichkeit nach Außen, sondern findet im Individuellen das verbindende Allgemeine. „Wellcome in my dress“ ist der Titel ihres Kataloges. Das Kleid umfängt nicht nur die Künstlerin, sondern auch viele andere. RICHARD RABENSAAT

Leutenegger: bis 13. 4, Galerie Kamm, Almstadtstraße 5, Mi.–Fr. 13–19 Uhr, Sa. 13–18 Uhr. Mayaux: bis 13. 4., Galerie Wellerdiek, Torstr. 159, Mi.–Fr. 12–18 Uhr, Sa. 11–17 Uhr

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