: Die Polizei und das Mädchen
Den Alltag auf dem Revier prägen Männerbünde und Alpha-Tiere: Der Drehbuchautor Fred Breinersdorfer hat für „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ bei den Ordnungshütern geschnüffelt und vier reale Mobbingfälle verarbeitet (20.15 Uhr, ARD)
von CHRISTIAN BUSS
Der Aufenthaltsraum erinnert an eine Jungsumkleidekabine: Die Luft ist mies, die Witze sind muffig. Cornelia (Anneke Kim Sarnau) lacht trotzdem höflich, als sie ein Kollege als „Streifenmieze“ tituliert. Die junge Frau aus der Provinz hat gerade in Hamburg ihren Posten als Polizeimeisterin angetreten, da will sie nicht zimperlich erscheinen. Immerhin findet sie Trost beim Dienststellenleiter Eddy (Axel Prahl). Der Mann gibt sich väterlich, doch am Ende eines gemeinsamen Abends steckt er ihr die Zunge in den Mund. Cornelia stößt ihn weg. Am nächsten Tag beginnt der beleidigte Leitbulle seine Macht auszuspielen.
Sich unterordnen oder draufgehen – andere Optionen existieren nicht. Dass Cornelia am Anfang mit einem Polizisten über die Effizienz von Selbstmordpraktiken fachsimpelt, ist ein böses Omen. Am Ende wird sie die Technik anwenden, die ihr Kollege als unfehlbar gepriesen hat.
Mit tödlicher Zwangsläufigkeit treibt die Handlung voran: Der Freund daheim in der Kleinstadt serviert sie ab, die Psychologin weist ihr mit ein paar aufmunternden Worten die Tür, und die einzige Kollegin auf dem Revier beweist wenig tröstliche weibliche Solidarität: Sie kenne das alles, aber wenn man den Chef mal rangelassen hätte, würde sich der Trubel wieder legen.
Das Erregungpotenzial von „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ ist enorm, da bedarf es keiner Emotionalisierungseffekte. Nüchtern werden die Unterwerfungspraktiken eines männerbündisch organisierten Systems protokolliert – von subtilen Demütigungen bis zu brachialen Machtritualen. Drehbuchautor Fred Breinersdorfer hat vier aktenkundige Mobbingfälle verarbeitet; außerdem recherchierte er auf Revieren. Damit man ihn gewähren ließ, gab er vor, an einer Liebesgeschichte zu arbeiten.
Von Liebe handelt „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ allerdings gar nicht. Stattdessen werden präzise die Stationen eines Isolationsprozesses durchgespielt. Die Formstrenge erstaunt, wenn man weiß, dass Regisseur Marc Rothemund vorher den rammeldösigen Pimmelfilm „Harte Jungs“ gedreht hat. Hier nun treibt er mit geometrischer Genauigkeit das Trauerspiel auf seinen Schlussakt zu. Die Ausstattung ist dabei authentisch bis zum unvorteilhaften Politessen-Pony der Hauptdarstellerin.
Gebrochene Lust am Sein
Dass die verzweifelte Heldin trotz der fallbeispielhaften Verdichtungen ein so starkes Eigenleben entwickelt, beweist einmal mehr die Präsenz von Anneke Kim Sarnau. Die gab unlängst in dem Kammerspiel „Das Ende der Saison“ eine Studentin, die im Schatten ihrer sterbenden Mutter eine ungeheuerliche Lust am Sein entwickelt. Jetzt verkörpert sie mit ähnlicher Dynamik die Berufsanfängerin, deren Lebensmut mit grausamer Systematik gebrochen wird.
Insofern geht „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ weiter als andere Milieustudien aus dem Polizeialltag: Bei der TV-Produktion „Auf schmalem Grat“ etwa reichte das Mobbingthema nur für ein schwüles Thrillermelodram, und Andreas Dresen gönnte seiner Protagonistin in „Die Polizistin“ immerhin Momente morbiden Zaubers. Gleichzeitig spiegelt sich der rauhe Realismus aus Dresens Drama in „Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Und Axel Prahl spielte schon in „Die Polizistin“ den nölig-freundlichen Beamten. Doch jetzt verwandelt er sich in ein jähzorniges Alpha-Tier, das fürchtet, den Respekt der Herde zu verlieren.
Man wird einfach nicht müde, dem Quadratmännchen, das bald auch noch als „Tatort“-Kommissar in Münster ermittelt, dabei zuzuschauen, wie er Polizisten spielt. Er gewinnt dem Streifensheriff ungewöhnliche Facetten ab: tragisch und piefig, nobel und perfide. So einem traut man zu, über Leichen zu gehen.
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