: Vater der behaarten Türklinke
Vor fünfzig Jahren hatte das innovative Riesenhuhn Daniel Düsentrieb aus Entenhausen seinen ersten Auftritt
BERLIN taz ■ Einem 165-Zentimeter-Huhn stehen alle Wege offen. Sollte man meinen. Doch die Welt scheint noch nicht bereit für lebensgroße, geniale Hühner. Vielleicht ist Daniel Düsentrieb darum Erfinder geworden. Das einzig männliche Huhn der Welt (und das einzige Huhn mit Brille) wurde irgendwann im letzten Jahrhundert im Norden von Entenhausen geboren, dort, wo vor der Tür ein Schild mit „Birthplace of Gyro Gearloose. Inventor of topless hats“ steht. Gyro Gearloose ist sein Originalname und seit 50 Jahren bastelt sich das innovative Geflügel durch die Entenhausener Chroniken. Über 180 praktische und auf merkwürdige Entenhausener Art luxuriöse Dinge wie die behaarte Türklinke, die Kopfkratzmaschine oder den Tassenhebekran hat er seitdem erfunden, meist ohne lukrativen Nutzen. Seine Produkte sehen – in Disney’scher Manier – aus wie biegsame, roboterartige, wirr zusammengedengelte Versatzstücke mit beweglichen Armen, Rollen und blinkenden Dioden dran: Düsentrieb würde nie einfach einen Computer programmieren. Er ist ein haptisches Huhn, ein Kinderfantasie-Erfinder: Zack – und aus Stroh und Scheiße werden Funkgeräte gebastelt, die auch noch Präriekaffee kochen und Mücken vertreiben können. Ein MacGyver in Nutzvogelform ohne die Abenteuerlust und den hässlichen Schopf. Nach ihm wurden sogar Schlaumeier-Hochschulpreise in verschiedenen Ländern benannt.
Doch da Düsentrieb außer Familienangehörigen und Kunden wie Dagobert Duck nicht viele Freunde zu haben scheint (was merkwürdig ist: Düsentrieb gehört eindeutig zu den weniger exzentrischen und genügsameren EntenhausenerInnen, aber vielleicht steht ihm sein zweifelhafter sexueller Status im Weg), darum lebt er seit 1956, seit der Episode „The cat box“ (in Deutschland seit 1982, „Katzenjammer“) in einer undurchsichtigen Symbiose mit einer sympathischen, stummen Glühlampe mit Armen und Beinen dran, dem Helferlein. Düsentriebs Ziehvater Carl Barks hatte das Lämpchen (lange vor den Rolling Stones) „Little Helper“ geheißen, in anderen Ländern hat es ebenfalls reizende Namen: Italiener nennen es „Edi“, Griechen „Glompos“ und Holländer „Lampje“. Eine etwas zwielichtige Figur ist das Birnchen. Steht es für Düsentriebs zündende Ideen, wie Entenhausen-Fans meinen? Hat er es erfunden, oder ist es ihm zugelaufen? Ist es Kind, jugendlicher Liebhaber oder Muse? Düsentrieb schweigt sich von jeher darüber aus. Er ist der Fall eines Huhns, dessen unauffälliges Außen ein zurückhaltendes Wesen und ein buntes, reges und schillerndes Inneres verbirgt. Natürlich ist Düsentrieb stolz auf seine Ideen, rühmt sich von Zeit zu Zeit selbst: „Meine Erfindungen funktionieren immer!“ Aber im Großen und Ganzen ist er ein extrem bescheidenes Huhn, das an Gimmicks genauso gerne herumbastelt wie an seinen großen Würfen: dem Raumschiff, dem Zukunftsfotoapparat, dem Golddetektor oder der Zeitmaschine etwa. Das Entenhausener Gesetz, das auf Disney’scher Ethik und Barks Stil basiert, wird den Ingeniör, dem nichts zu schwör ist, auch in Zukunft reichlich mit Ideen beliefern. Das Patent, das ihn für immer aus dem Kaff herauskatapultieren könnte, mit dessen Vermarktung und Verkauf er bis an sein Lebensende ausgesorgt hätte, das wird er aber nie entdecken. Diese Stadt ist eben nicht groß genug für zwei Millionäre. JENNI ZYLKA
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