Wir sind die Stammwähler

■ Über 60 sind sie – und seit Jahrzehnten in der Partei. In einem Zelt zeigte am „Tag der älteren Generation“ die Sozialdemokratie Flagge: Grummelnd und voller Ratschläge

40 Jahre lang war sie Krankenschwester. Mit dem Beruf war sie verheiratet. Und irgendwie auch mit ihrer Partei, der Sozialdemokratie. Und da steht Helga Sierck – seit 1967 Mitglied – in dem rot-weißen Zelt neben der Bürgerschaft, verteilt SPD-Gummibärchen, SPD-Luftballons, SPD-Käppies und diese knusprigen italienischen Mandelplätzchen. Die Schriftführerin der Bremer Arbeitsgemeinschaft (AG) SPD 60 Plus wird nächste Woche 77. Und heute, am deutschen „Tag der älteren Generation“, zeigt sie Flagge für ihre Sozen. Immerhin hat Sierck noch Ende der 60er mit Jungspund Henning Scherf (heute 63) Straßenbahngleise blockiert, um gegen Fahrpreiserhöhungen zu protestieren. Und dann kommt es ihr doch hoch: „Entweder müssen sich die Jungen selbst um die Rente kümmern – oder sie müssen uns totschlagen!“

Grummeln gibt es schon. „Er lobt die CDU zu sehr“, sagt Emmy Brüggemann vom Landesvorstand über „Henning“. „Hier wird zu wenig gebaut“, betont sie noch, das Faulenquartier liege schon viel zu lange brach. Und, gen Bürgermeister: „Kümmer dich um die Leute in der Stadt!“ – O-Ton einer vierfachen Großmutter.

Aber nein, so viel Wirbel gibt's im kleinen 60-plus-Zelt an diesem Morgen nun doch nicht. „Die Senioren-CDU macht–s mit Kaffee und Kuchen, wir haben einen Stand“, sagt Brüggemann, die immerhin zu den „Radikalen“ in der AG gehört.

Es ist ein Stand zum Plaudern, zum Werben für die Partei, für die großen Wahlen im Herbst – und dafür, Fragen zu stellen.

Das Motto: Lernen von den Alten. „Die SPD ist die gerechtere Partei für den kleineren Mann“, sagt Emmy Brüggemann überzeugt. Sie habe vor der Rentenreform 97 Mark netto bei der Post bekommen. „Das hat gerade für ein Stück Seife und eine Rolle Nähgarn gereicht. Wir haben nur von Gemüse aus dem Garten gelebt und sind beim Bauern hamstern gegangen.“ So war das damals.

Und heute? „Heute geben die Jungen so viel Geld für Konzerte aus“, meint einer kopfschüttelnd. Es gebe doch viel Sinnvolleres: „In die Gewerkschaft gehen! Die handeln die Tarifverträge aus. Kein Trittbrettfahrer sein“, rät er. Und auch diesem AGler sieht man kaum an, dass er wohl jenseits der 70 ist. Vielleicht hält die Partei ja wenigstens jung.

„Die Jugend bekommt das nicht richtig mit mit den Ausländern“, sagt Helmut Thielke, Landeschef von 60-plus, geboren 1927 und noch Soldat im Weltkrieg. In den vielen Jahren am Stand hätte er noch nie so viele Nörgler gehabt wie heute. Vor allem Jüngere seien hier gewesen, mindestens hundert, sagt Thielke.

Über die Renten wollten sie Bescheid wissen. Und über die Asylanten hätten sie sich beschwert. Aber klar, das mit dem Bundesrat schüre „die Politikverdrossenheit nur noch mehr“.

Und der Genossenklüngel in Köln? Jutta Onnen zuckt mit den Schultern: „SPD-Menschen sind auch nur Menschen.“ Sie kann verzeihen. Immerhin ist sie sechsfache Oma und bereits 31 Jahre in der Partei.

Die Alten wissen, was die SPD an ihnen hat. „Wir sind die Stammwähler“, betont Emmy Brüggemann. Und: „Mit 4.000 Mitgliedern in Bremen sind wir auch die stärkste Arbeitsgemeinschaft in der SPD.“ Aber die Genossen werden nicht jünger – oder? Brüggemann: „Mit 75 fängt das Leben erst an.“ Kai Schöneberg