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Hoffnungsvoll in der Krise

Insolvenzverwalter sieht Chancen für den traditionsreichen Papierwarenhersteller Herlitz. Belegschaft schwankt zwischen Wut und Enttäuschung. Betriebsratschef gibt Banken die Schuld

von STEFAN ALBERTI

Verärgert und frustriert, aber ohne Protestaktionen und Arbeitsniederlegung haben die Beschäftigten des Traditionsunternehmens Herlitz auf den Konkurs ihrer Firma reagiert. Im Stammsitz in Tegel, wo 800 von 3.000 Mitarbeitern beschäftigt sind, lief die Produktion normal weiter. Vorstand und der Insolvenzverwalter äußerten Hoffnung auf eine Sanierung. Am Montag soll es neue Gespräche über Kredite geben. Berlin und Brandenburg kündigten an, bei Bedarf zu helfen, um die Arbeitsplätze zu sichern.

Ein Bankenkonsortium, dem mehr als zwei Drittel des 1904 gegründeten hoch verschuldeten Papier- und Schreibwarenhersteller gehören, hatte Herlitz am Dienstag dringend benötigte Kredite verweigert, weil ihm Bürgschaftszusagen der Länder nicht weit genug gingen. Der Unternehmensvorstand reichte daraufhin gestern Morgen um neun beim Amtsgericht einen Konkursantrag ein. Eine Stunde später war Rechtsanwalt Peter Leonhardt als Insolvenzverwalter eingesetzt und im Gespräch mit der Herlitz-Spitze.

Nachmittags zog Leonhardt, der als Kenner der Pleiteszene gilt, ein erstes Fazit: „Ich bin hoffnungsvoll und hoffnungsfroh.“ Der Vorstand hatte ihm das erste Quartalsergebnis 2002 präsentiert, das vier Millionen Euro über der Planung liegen soll.

Am Werkstor in Tegel zeigten sich Mitarbeiter auch nicht vom Konkurs selbst, sondern vom Zeitpunkt überrascht . „Aus der Politik waren doch zuletzt andere Signale zu hören“, sagte Hans-Walter Trepper, Mitarbeiter im Einkauf. Wie seine Kollegen hatte er aus internen Rundschreiben von der Insolvenz erfahren.

Betriebsratschef Christian Petsch sprach von einer Mischung aus Wut und Enttäuschung und gab den Banken die Hauptschuld – gerade jetzt habe so ausgesehen, als ob es besser würde. „Die Stimmung? Die ist seit Jahren auf dem Tiefpunkt“, sagte Maschinenführer Andreas Dannenfeld, seit 18 Jahren bei der Firma. Herlitz hatte in den vergangenen fünf Jahren seine Mitarbeiterzahl von über 4.000 auf 3.000 verringert. Dannenbergs Erklärung für das Scheitern: „Die Chefs haben sich einfach zu viel aufgeladen und zu viel auf einmal gemacht.“

Die Unternehmensleitung bestätigte vom Nachmittag die Kurzanalysen am Werkstor. Fehlgeschlagene Immobilien- und Russlandgeschäfte früherer Vorstände in den 90ern hätten für Verluste in dreistelliger Millionenhöhe gesorgt, während das eigentliche Kerngeschäft gesund sei. Derzeit schiebt Herlitz rund 300 Millionen Euro Schulden vor sich her. Den gestrigen Konkursantrag verursachte die im Vergleich dazu geringe Summe von rund zehn Millionen Euro. Herlitz wollte mit diesem neuen Kredit das Saisongeschäft zum neuen Schuljahr vorfinanzieren.

Ein Konsortium aus elf Banken unter Führung der Deutschen Bank wollte wohl zahlen, verlangte aber eine Bürgschaft der Länder Berlin und Brandenburg, die darüber hinaus auch alte Kredite abdecken sollte. Darauf ließen sich die Länder nicht ein.

In Brandenburg sah Herlitz-Vorstand Christian Suphut allerdings mehr Entgegenkommen. Berlin sei ab einem Punkt der Verhandlungen stehen geblieben. Auch Betriebsratschef Petsch sah außerhalb von Berlin mehr Engagement für Herlitz: Ministerpräsident Manfred Stolpe sei gleich am Telefon gewesen, als er ihn angerufen habe.

Die Wirtschaftsverwaltung des Senats wies diese Darstellung als verzerrt zurück. „Berlin habe auf jeden Fall mitgehalten“, sagte der Sprecher von Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS), Christoph Lang. Gysi sei der Erste gewesen, der sich schon Anfang Februar mit einer Absichtserklärung für eine Bürgschaft engagiert habe. Gysi selbst kritisierte die Rolle der Banken und warf ihnen unzureichendes Engagement vor. In dem Insolvenzverfahren sah er die Chance, „die gesunden Kerne des Unternehmens und damit den Hauptteil der Arbeitsplätze zu retten“.

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