: Überdosis Licht und Schatten
Clara Law schickt in „The Goddess of 1967“ einen Citroën DS, einen jungen Japaner und eine blinde Frau in die australische Wüste. Die Figuren stehen vor ihrer Vita wie vor einer fremden Landschaft
von CRISTINA NORD
Was bleibt vom Kino, wenn man nichts sehen kann? „Ich weiß, was Film ist“, sagt die blinde Hauptfigur in Clara Laws Film „The Goddess of 1967“. „Die Leute küssen sich und bumsen im Dunkeln und so.“ Wenn die Distanz des Blicks fehlt und Wahrnehmung über die Unmittelbarkeit der Berührung funktioniert, bleibt auf der Leinwand Dunkelheit, und es bleiben die Körper.
Insofern ist es konsequent, wenn diese Figur, die junge rothaarige Frau, so oft im Chiaroscuro agiert. Zum Beispiel, wenn sie die zweite Hauptfigur, den jungen Mann aus Tokio, kennen lernt und ihre Hände sein Gesicht abtasten. Das geschieht am rechten Rand des Bildes, den Rest taucht Clara Law in Dunkelheit. Die Berührungen sind missverständlich, offensichtlich treten unterschiedliche Codes der Verständigung gegeneinander an. Bis sie miteinander kompatibel werden, muss eine Zeit verstreichen, und bevor es so weit ist, zielt der Japaner einmal mit einer Waffe auf die Rothaarige. Sie bemerkt es nicht – wie sollte sie auch – und gräbt weiter in seiner Reisetasche.
Wenn diese junge Frau einen ihr unbekannten Raum betritt, streicht sie mit den Fingerkuppen über Möbel, Flächen und Gegenstände, selbst wenn sie verrotten wie in der zweitletzten Sequenz. Unser Ekel lässt sie kalt. Eine andere Chance, sich zu orientieren, hat sie nicht. Manchmal, wenn sie unruhig ist, sagt sie: „Ich habe meinen Radar verloren.“ Dem Japaner zeigt sie, wie man Auto fährt und sich dabei die Hand vor die Augen hält. Ausgerechnet dem Japaner, der, um niemals vom Weg abzukommen, einen Autopiloten am Armaturenbrett des Wagens angebracht hat. Dieser Wagen übrigens ist ein Citroën DS, ein Fetisch, für den der junge Mann bis in die australische Wüste gereist ist. Das Kürzel DS spricht sich „Déesse“, Goddess, Göttin.
„The Goddess of 1967“ erzählt von Orientierungsversuchen, die meist misslingen und am Ende doch glücken. Die Figuren bewegen sich in einer fremden Welt, deren Koordinaten sie erschließen wollen, sie stehen fragend vor der eigenen Vita und erkunden sie wie eine unbekannte Landschaft. Clara Law, die vor einigen Jahren aus Hongkong fortging und sich in Australien niederließ, bringt dabei den Orientierungssinn des Publikums durcheinander. Die Farben verschwinden entweder im Schattenreich des Helldunkel, oder sie werden durch eine Überdosis Licht verfremdet. Keinen Augenblick will man dem Blau des Himmels, dem Grün einer Wiese, dem Rot des Haars glauben. Szenen werden geschnitten, obwohl sie noch nicht an ihrem Ende angelangt sind. Vergangenheit und Gegenwart wechseln, Tonspur und Bilder gehen getrennte Wege. Etwa wenn der junge Japaner zum ersten Mal den Wagen anlässt und wir dazu ein abhebendes Flugzeug hören.
Dann wieder sind es Tiefseegeräusche, wie der Gesang eines Wals auf dem Schiffsradar. Geräusche, die aus großer Ferne oder einer anderen Zeit zu stammen scheinen, so wie das, was wir von den Sternen sehen, der Vergangenheit angehört. Denn das Licht braucht so lange bis zur Erde, dass es schon verloschen ist, wenn wir seiner gewahr werden. In einer Rückblende erklärt die Mutter dies der blinden Tochter, nachdem diese die Sterne hat anfassen wollen, wie ein naiver Zuschauer vielleicht Figuren auf der Leinwand berühren möchte. Der Großvater wird sagen: „Früher oder später gibt es keine Sterne mehr am Himmel, nur noch schwarze Löcher.“
Law hat einen fremden Film gedreht, mit fremden und manchmal somnambul schönen Bildern, fremden Farben, fremden Tönen. Der Citroën DS dient als Vehikel für Glück und Unglück, er bewegt sich durch das australische Wüstenland, obwohl er für unser Auge nur auf und ab wippt wie vor fünfzig Jahren, als die Kameras fahrende Automobile noch nicht einfangen konnten und diese stillstanden vor einem Landschaftsprospekt, der bewegt wurde.
Manchmal bricht die Gewalt über den Film, gibt es eine unmotivierte Verfolgungsjagd, die mit einem Schuss endet, oder einen Ehezwist – von dem uns nur erzählt wird –, an dessen Ende Gehirn an einer Wand klebt, was wir dann sehen. Und manchmal brechen die Figuren in Tänze aus, die keiner Choreografie folgen, Bewegungen, die sich an der Grenze zum Wahn vollziehen.
Trotzdem kommen die Figuren voran, und vielleicht ist das das eine, entscheidende Problem von „The Goddess of 1967“. Die junge Frau bahnt sich den Weg durch ihre Biografie, und am Grunde ihrer selbst stößt sie auf die Lösung des Gehimnisses, auf die traumatische Erfahrung, die ihr die Welt verstellt hat. Vielleicht macht es sich Law damit zu einfach. Aber ihr Film bleibt fremd genug, um seiner Auflösung zu widerstehen.
„The Goddess of 1967“. Regie: Clara Law. Mit Rosie Byrne, Rikiya Kurokawa u. a. Hongkong/Australien 2000, 118 Min.
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