Neue Führungsrolle für Ankara

Trotz Bedenken wird die Türkei das Kommando der UN-Friedenstruppe Isaf in Afghanistan übernehmen. Damit will das Land vor allem den USA entgegenkommen

ISTANBUL taz ■ Trotz erheblicher Bedenken hat sich die türkische Regierung jetzt bereit erklärt, die Führungsrolle der UN-Friedenstruppe in Afghanistan (ISAF) zu übernehmen. Gestern reisten mehrere hohe Militärs unter Leitung von Generalmajor Akin Zorlu, der das Kommando übernehmen soll, nach Kabul, um sich vor Ort zu informieren. Zurzeit stellt die Türkei im Kontingent lediglich 260 Soldaten, will die Anzahl aber ab Mai auf rund 1.000 erhöhen. Der afghanische Übergangschef Hamid Karsai wird morgen in Ankara erwartet.

Die wesentlichen Gründe für die türkische Zurückhaltung waren die schwere Wirtschaftskrise im eigenen Land, die Debatte um eine zeitliche und räumliche Ausdehnung des Mandats der Schutztruppe und die Angst, von den übrigen Nato-Partnern in Kabul allein gelassen zu werden.

Die finanziellen Bedenken der türkischen Regierung wurden im Wesentlichen während des Besuchs von US-Vizepräsident Cheney vor zwei Wochen in Ankara ausgeräumt. Cheney bot an, die Übernahme der türkischen Führungsrolle mit 28 Millionen Dollar direkt und einer Wirtschaftshilfe von 200 Millionen Dollar zu unterstützen. Allerdings muss der Kongress noch zustimmen. In der Debatte um das Mandat hat die türkische Regierung immer betont, man wolle keine räumliche Ausweitung über Kabul hinaus, und die türkische Führungsaufgabe müsse zeitlich klar begrenzt sein. Lange schien es so, dass Karsai und andere afghanische Regierungsmitglieder Vorbehalte gegen die Türkei als „leed nation“ haben, weil Ankara enge Kontakte zur Nordallianz, vor allem aber zu den Usbeken um Raschid Dostum hat. Diese Vorbehalte sind angeblich geklärt, werden aber wohl im Gespräch mit Karsai noch einmal diskutiert werden.

Der Hauptgrund für die mangelnde türkische Begeisterung waren aber die erkennbaren Absetzbewegungen der engsten Nato-Verbündeten. Großbritannien will den Job möglichst schnell wieder loswerden, Deutschland ihn nicht annehmen, und auch die übrigen Nato-Länder wollen ihr Afghanistan-Engagement klar begrenzt sehen. Die Türkei, das hat der Generalstab klar gemacht, kann die Aufgabe nur übernehmen, wenn die Nato-Staaten ihren Beitrag aufrechterhalten. So will Ankara das von den Briten aufgebaute Kommunikationssystem übernehmen und wünscht, dass US-Transportflugzeuge den Nachschub besorgen. Letztlich, so macht Ankara deutlich, übernehmen wir diese Funktion, um den USA einen Gefallen zu tun.

Tatsächlich steht die türkische Öffentlichkeit dem Afghanistan-Engagement leidenschaftlos gegenüber. Erst recht, seit zwischen Israelis und Palästinensern der Krieg eskaliert, schaut das Land nach Süden. Es wird über die Stornierung eines Großauftrags an das israelische Militär diskutiert, die für Milliarden Dollar den größten Teil der türkischen Panzer modernisieren sollen. Dass die Türkei sich zu dem Afghanistan-Auftrag durchgerungen hat, ist vor allem eine Investition in die Zukunft. Erstens erhofft man sich mehr Einfluss auf die US-Pläne gegenüber dem Irak und zweitens eine Stärkung der eigenen Rolle in Nato und EU.

JÜRGEN GOTTSCHLICH