Mein wunderbarer Eckladen

Mit Witz und doppeltem Boden: Aus den entlegensten Versatzstücken puzzeln sich Cornershop ihren ganz eigenen Britpop zusammen. Ihre politische Botschaft erschließt sich erst auf den zweiten Blick

„Ich greife zur Gitarre, um sie an die Wand zu knallen. Nicht, um Klischees zu brechen“

von THOMAS BURKHALTER

„Hello“, sagt Tjinder Singh mit breitem britischem Akzent. Sein Streifenanzug sitzt, die Beatles-Pilzfrisur auch. Singh steht schon seit Tagen Journalisten aus ganz Europa Rede und Antwort, immer dieselben Fragen, immer dieselben Antworten. „Ich hasse die Musikindustrie, und gerade deshalb fordert sie mich heraus. Mich interessiert, was aus welchen Gründen rausgefiltert wird und wie Bands formiert und von Managern manipuliert werden.“ Er lebe und musiziere nach der Philosophie des Künstlers William Morris, der von 1834 bis 1896 gelebt hat, erklärt er. „Morris hat sich alles selber beigebracht: Malerei, Dichtung, Möbeldesign, Hausbau. Was er nicht konnte, lernte er von Freunden. So mache ich es in der Musikindustrie: Ich will mich nicht von Idioten am Gängelband führen lassen: Ich schreibe Musik und Texte, produziere die CDs, arbeite für die Gestaltung eng mit Grafikern zusammen und wähle jeden Manager selber aus.“

Aufzwingen lässt sich Tjinder Singh nichts, Indien-Klischees schon gar nicht. Seit Anfang der 90er-Jahre mixt er, gemeinsam mit dem Gitarristen Ben Ayers, unter dem Namen Cornershop Fundstücke aus seiner Plattensammlung zusammen und stellt in Sound, Singstimme und grafischer Ausgestaltung seiner CDs und Videos die vielen Facetten seiner Persönlichkeit in den Vordergrund. Auch auf dem neuen Cornershop-Album „Handcream For A Generation“ setzt Singh auf Rockgitarren, afroamerikanische Sounds und Punjabi-Folk, wechselt zwischen Computerstimme und Liedermachergesang oder streut Soundschnipsel, Glockenklänge, Kindergesang und Industrielärm ein. Das Resultat klingt wie ein raues musikalisches Patchwork: meist fröhlich, nicht selten chaotisch.

Ein wichtiges Kernelement von Cornershops Musik sind seit jeher die versteckten politischen Anspielungen, Doppeldeutigkeiten und Metaphern. 1997 bezirzte Cornershops Hitsong „Brimful Of Asha“ die Briten mit frischen Gitarrentönen und sympathischer Stimme und ließ die Medien die Wiedergeburt des kriselnden Britpop feiern. Als Musiker indischer Abstammung widersprach Tjinder Singh damit zugleich dem Vorurteil, das da lautete, Asiaten könnten keine Rockmusik machen. Die politische Botschaft des Stückes ging indes weiter, enthielt der Gitarrensong doch eine versteckte Hommage an die Bollywood-Sängerin Asha Bhosle. Damit deutete Singh nicht zuletzt an, dass asiatische Identitäten in England längst stärker durch virtuelle TV- als durch real erlebte Heimatbilder bestimmt werden.

Auch auf „Handcream For A Generation“ verpackt Singh sein Unbehagen über angloasiatische Lebensweisen und -umstände in UK und seine Reflexionen über die historische Interdependenz zwischen Großbritannien und dem indischen Subkontinent in einen scheinbar Spaß versprühenden Partysound: Sein Gespür für Ästhetik verhindert dabei, dass Musik und Politik plakativ wirken.

Mit den meisten anderen britisch-asiatischen Musikern Londons will er dagegen nichts am Hut haben: „Asian Underground ist ein Medienkonstrukt. Ich lasse mich nicht auf meine Herkunft reduzieren.“ Die Strategien, die diese Musiker anwenden, um für Gleichberechtigung in den britischen Medien und der Musikindustrie zu kämpfen, kritisiert er aus verschiedenen Gründen: Gruppen wie Fun-Da-Mental, die ihr Publikum mit harten Parolen bekehren wollen und dabei ihre Ungerechtigkeitsbotschaften meist an bereits Sensibilisierte predigen, findet er musikalisch schwach. Und Kollegen wie Nitin Sawhney oder Badmarsh & Shri hält er vor, sich mit exakt jenen Orientklischees zu verkaufen, die britisch-asiatische Musiker eigentlich hätten zerstören wollen.

Bewusst richten sich Cornershop weder an ein asiatisches Publikum noch an Freunde orientalischer Klänge: „Wir wenden uns lieber an die ‚bösen‘ britischen Jungs: Sie müssen wir zum Umdenken bewegen. Politische Botschaften müssen intelligent auf mehreren Ebenen in eine Kunst eingewoben werden“, sagt er, „sie müssen neue Hörer anlocken und dennoch relevant sein. Wir politisieren, ohne traurig oder wütend zu wirken. Politik bewegt sich nicht von selbst.“ Wenn ein eher rechts stehendes Publikum seinen Britpop mitsänge, müsse er schon grinsen, gesteht er. Doch die Frage, welche politischen Botschaften im neuen Album versteckt seien, ärgert ihn, obwohl das Verstecken eigentlich Cornershops Konzept ist. „Ich sage den Leuten nicht, was zu hören ist. Nur eines: Politischer kann ein Album nicht sein. Schon dass die CD nicht nach ‚Brimful Of Asha‘ klingt oder ich die Rocknummer ‚Spectral Mornings‘ in Punjabi singe, ist Politik!“ Dann hält er inne, bemerkt wohl seine Inkonsequenz und fügt an, dass er nicht auf Biegen und Brechen politisch verstanden werden möchte, dass musikalische und ästhetische Inhalte ebenso wichtig seien.

Das lässt an CD-Sampler wie „Buddha Bar“, „Salon Oriental“, „Asian House and Lounge Atmosphere“, oder wie sie alle heißen, denken, die in letzter Zeit den Markt überschwemmen und an denen auch Musiker wie Nitin Sawhney, Talvin Singh und Co. mittun: Musik und Politik sind hier vollständig entkoppelt, Elektronik und Fernostklischees verschmelzen zu einer neuen Orient-Fata-Morgana. Westliche Großstadtkinder lassen sich von diesen neuen Kolonialsounds in In-Bars die Sinne vernebeln und fühlen sich im Trend der Zeit, und vielleicht sind sie es auch: Indien, Arabien und „Buddhastan“, verkauft als Einheitskonserve, reproduzieren auf neue Weise alte Bilder: Der Osten ist so anders als der Westen; der Osten tönt seit Jahrzehnten gleich, ist meditativ, spirituell, religiös.

Solche Einwürfe registriert Singh mit einem schelmischen Kopfnicken, räumt aber ein: Es gehe neben dem Brechen von Identitätsvorstellungen auch um Musik und um Geld; man könne Musiker nicht zu politischem Denken verdammen. „Ich habe zur Gitarre gegriffen, um sie an die Wand zu knallen. Nicht, um mit ihr Klischees zu brechen.“ Lacht. Und sagt „Good bye“.

Cornershop: Handcream For A Generation (Wiija/Connected)