: Flüchtlinge unter Vorbehalt
Pro Asyl: Deutschland verletzt Rechte von ausländischen Kindern. Innenminister Schily: Minderjährigkeit schützt nicht vor Abschiebung. Pro Asyl legt Gesetzentwurf vor
BERLIN taz ■ Bitter enttäuscht ist die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl von der Bundesregierung, wenn es um Kinderrechte geht. Zum zehnjährigen Jubiläum der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland kritisierte die Organisation gestern, dass Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sich beständig weigere, bessere Bedingungen für Flüchtlingskinder zu schaffen. Auch das Zuwanderungsgesetz habe versagt.
„Die rechtliche und soziale Situation von Flüchtlingskindern ist nach wie vor Besorgnis erregend“, sagte gestern Heiko Kauffmann, Vorstandsmitglied von Pro Asyl. Bei der Einreise würden sie monatelang in Abschiebehaft gesteckt, wenn kein Asylgrund vorliege. Sie müssten sich von Beamten begutachten lassen – nackt, um über die Geschlechtsreife ihr Alter bestimmen zu können. Wer älter als 16 zu sein scheint, muss oft in Abschiebehaft. Solche Kinder können sich „früher oder später zum kriminellen Bodensatz der Gesellschaft entwickeln“, so Hubert Heinhold von Pro Asyl. Nach Schätzungen der Organisation leben 6.000 bis 10.000 registrierte Flüchtlingskinder ohne Eltern in Deutschland, plus genauso viele Illegale.
Als die Kohl-Regierung 1992 die UN-Kinderrechtskonvention ratifizierte, tat sie das nur unter dem „Vorbehalt“, dass geltendes nationales Recht nicht ausgehebelt wird. Dies hat zur Folge, dass bis heute bei der Regelung der Einreise und des Aufenthalts von ausländischen Kindern die Schutzrechte nicht angewendet werden. Flüchtlingskinder gelten in Deutschland als Erwachsene, wenn sie älter als 16 sind.
Seit Jahren fordern Pro Asyl und auch Unicef die Rücknahme des „Vorbehaltes“. „Die Grünen und die SPD haben immer versprochen, das zu ändern, wenn sie an der Regierung sind“, sagte Heiko Kauffmann, „doch getan hat sich nichts“.
Pro Asyl hat dem Bundestag bereits eine Petition übergeben, doch die Entscheidung verzögert sich. „Otto Schily behauptet immer wieder, er müsse erst die Länder um Zustimmung bitten. Jetzt schieben Bund und Länder die Verantwortung hin und her“, sagte Heidemarie Lüth, Vorsitzende des Petitionsausschusses des Bundestages. Auch im Zuwanderungsgesetz sei kein einziger Punkt der Petition berücksichtigt worden.
Bundesinnenminister Schily sagte, es würde der politischen Rücksichtnahme widersprechen, die Vorbehaltserklärung gegen den Willen der Länder zurückzunehmen. „Minderjährigkeit für sich genommen berechtigt nicht zur Einreise und schützt nicht vor Abschiebung“, so Schily.
Um eine Änderung noch in dieser Legislaturperiode zu erwirken, hat Pro Asyl einen Gesetzentwurf vorgelegt. Darin wird unter anderem gefordert, dass die Flüchtlinge erst ab 18 Jahren als Erwachsene gelten. „Kinder brauchen kindgerechte Verfahren“, sagte Hubert Heinhold von Pro Asyl. NICOLE JANZ
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen