: Powell will reden, mehr nicht
Vom Besuch des US-Außenministers in Israel ist keine Friedensinitiative zu erwarten. Scharon ist stur, Arafat unglaubwürdig, und die Hamas begrüßt die Besetzung Palästinas
Wenn US-Außenminister Colin Powell in dieser Woche seinen Vermittlungsversuch startet, steht er vor einer kaum lösbaren Aufgabe. Allein die Tatsache, dass die USA sich wieder aktiv in die Moderation des Nahostkonflikts eingeschaltet haben, ist ein positives Signal. Die Protagonisten jedenfalls sind ganz offensichtlich unfähig dazu, auch nur kleinste Schritte in Richtung einer Regelung des Konflikts selbst zu gehen. Dabei mag man es bedauern, dass weder die Vereinten Nationen noch die Europäische Union fähig waren, von Israel als Vermittler akzeptiert zu werden. Dass allerdings nicht einmal die Vereinigten Staaten als langjähriger Freund Israels bisher dazu in der Lage waren, Ministerpräsident Ariel Scharon zum Rückzug aus dem Westjordanland zu bewegen, ist neu und noch nie da gewesen.
Das ist nicht nur ein Zeichen für die Bockigkeit des Konservativen Scharon. Es ist auch das Ergebnis einer Politik, die den Krieg als einzige Option einer vermeintlichen Konfliktlösung übrig gelassen hat. In dieser Logik muss die Besetzung des Westjordanlandes so lange aufrecht erhalten bleiben, bis durch Hausdurchsuchungen, Festnahmen, Beschlagnahmung von Waffen und Einschüchterung der Bevölkerung das Risiko von Selbstmordanschlägen signifikant verringert worden ist.
Ob diese pur militärische Logik aufgeht, darf bezweifelt werden. Die Besetzung mag die Quantität an Sprengstoff in den Händen radikaler Palästinenser verringern – die Quantität der potenziellen Selbstmordattentäter wird sie durch Leid und Ohnmacht erhöhen. Ein deutliches Zeichen dafür ist, dass die Hamas die israelische Besetzung indirekt begrüßt hat, weil sie eine Verhandlungslösung erschwert und damit den Zulauf auf die Islamisten noch verstärkt.
Ob es Colin Powell in den nächsten Tagen gelingen wird, der Besetzung Einhalt zu gebieten, mag dahingestellt bleiben. Doch das wäre die prinzipielle Voraussetzung dafür, damit überhaupt wieder so etwas wie ein Dialog jenseits der Gewehrsalven zwischen Israelis und Palästinensern zustande kommt. Eine Friedensinitiative, wie landauf, landab zu hören, erwächst daraus noch lange nicht. Sie ist auch nicht zu erwarten. Auch die vorangegangenen und gescheiterten Tenet- und Mitchell-Pläne waren lediglich Versuche, wieder einen halbwegs zivilisierten Umgang zwischen israelischen und palästinensischen Politikern zu vermitteln – mehr nicht. Ein wirklicher Frieden dagegen erscheint weiter entfernt als noch vor 20 Jahren, lange vor dem Oslo-Abkommen zwischen Israelis und Palästinensern. Denn die Rahmenbedingungen haben sich in jüngster Zeit radikal zum Negativen verändert.
Seit Oslo haben sich die Lebensbedingungen der Palästinenser dramatisch verschlechtert – und das liegt keineswegs nur an der israelischen Politik. Arbeitslosigkeit und Armut befanden sich schon lange vor Beginn der zweiten Intifada auf einem historischen Höhepunkt. Viele palästinensische Familien müssen unter dem Existenzminimum vegetieren.
Seit Beginn der Welle von Selbstmordattentaten fühlen sich Israelis in ihrer physischen Existenz bedroht. Israel ist ein kleines Land. Jeder kennt irgendjemanden, dessen Schwester, Bruder, Freund oder Bekannter durch palästinensische Attentäter ermordet worden ist. In einer Zeit, in der diejenigen, die mit dem Aufsammeln von Leichenteilen betraut sind, zu den Helden der Nation werden, darf man sich nicht wundern, dass den Friedensbeteuerungen von Jassir Arafat kaum mehr Glaube geschenkt wird, zumal es in jüngster Zeit die Al-Aksa-Brigaden seiner Fatah waren, die verstärkt die Mörder nach Tel Aviv und Haifa geschickt haben. Mit diesen Leuten den Frieden herbeiführen zu wollen, erscheint da nur noch absurd.
Dasselbe können Palästinenser über Israel sagen, denen die erneute Besetzung Tod und Demütigung gebracht hat. Israelis mögen hier zu Recht auf den in der Tat großen Unterschied verweisen, dass ihre Armee nicht wahllos Passanten in die Luft sprengt. Doch dass die Aktionen der Armee nicht unbedingt vertrauensbildende Auswirkungen haben, dürfte auch Scharons Hardlinern klar sein.
Die politische Lage ist umso verzweifelter, als lange propagierte und allgemein geforderte Lösungen zwischenzeitlich in Wahrheit keine mehr sind. Die Palästinenser mögen von der Gewalt als Mittel der Politik abschwören und das Existenzrecht Israels anerkennen – so lauteten die Grundsätze der Politik, mit der Israel die Annahme der Oslo-Vereinbarungen für einen Frieden mit den Palästinensern einging. Die Israelis mögen eine weitgehende Autonomie mit der Möglichkeit einer späteren Staatsgründung gestatten: Das waren die Hoffnungen der Palästinenser. Und heute? Die Autonomieverwaltung der Palästinenser wird in diesen Tagen mit militärischen Mitteln zerstört. Die Ausdehnung der Selbstverwaltung ist seit Jahren überfällig. Die Selbstmordattentate haben die Zahl getöteter israelischer Zivilisten auf ein Maß erhöht, das vor Oslo unbekannt war. Und das Existenzrecht Israels scheint heute bedrohter, als es vor den Oslo-Vereinbarungen war.
Dass unter Ministerpräsident Ariel Scharon eine Aufgabe der jüdischen Siedlungen im Westjordanland und dem Gaza-Streifen ausgeschlossen ist, ist bekannt. Doch selbst wenn die jüdischen Siedlungen geräumt würden, so wäre das noch lange keine Garantie für einen Frieden. Denn anders als noch vor zehn Jahren träumen mehr und mehr Palästinenser von einem Großpalästina, in dem Israel nicht mehr existiert. Die islamistische Hamas ist an einem Frieden mit Israel nicht interessiert. Der Staat selbst möge verschwinden. Selbst wenn kein einziger Jude mehr in Hebron, Ramot oder Gilo leben würde, änderte das an den Absichten der Hamas und ihrer Anhänger nichts.
Umgekehrt ist aus dem Häuflein radikaler Israelis, die einer Verschleppung der Palästinenser aus Palästina das Wort reden, eine signifikante Minderheit geworden. Die Mehrheit der Israelis unterstützt heute den Kurs ihres Ministerpräsidenten. Jassir Arafat hat nicht nur in den Augen von Ariel Scharon als Verhandlungspartner ausgedient. Viele Israelis mögen nicht länger mit Leuten verhandeln, die morgens auf Englisch ihre Friedensabsichten beteuern, mittags auf Arabisch das süße Leben der Märtyrer beschwören und abends eilfertig den jüngsten Bombenanschlag der eigenen Leute verurteilen.
Was sollte US-Außenminister Colin Powell da ändern? Die US-Armee nach Palästina in Marsch setzen? Der Frieden von Oslo ist tot. Ein neuer Frieden ist nicht in Sicht – die Protagonisten dafür sind verloren gegangen. Eine Eindämmung der Gewalt kann nur mit winzigen Schritten vorangebracht werden. Der winzigste Schritt beginnt diese Woche. KLAUS HILLENBRAND
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