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Leisetreten hilft nicht weiter

aus Peking und Berlin GEORG BLUME und SVEN HANSEN

Er ist der Transrapid in der Politik: Denn der deutsche Rechtsstaatsdialog mit China ist wie der Schnellzug in Schanghai ein Vorzeigeprojekt rot-grüner China-Politik und in ihrer Form einzigartig. Der Bau der Magnetschwebebahn macht sichtbare Fortschritte. Der eher im Verborgenen stattfindende Rechtsdialog kann dagegen bisher keine konkreten Ergebnisse vorweisen. Abgesehen davon, dass die Bundesregierung ihn trefflich nutzt, um ihre Menschenrechtspolitik gegenüber China öffentlicher Kritik zu entziehen.

Den Dialog hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder im November 1999 in China mit Premierminister Zhu Rongji vereinbart, im Juni 2000 unterzeichneten beide JustizministerInnen in Berlin ein entsprechendes Abkommen. Demnach wollten sie den Austausch nutzen, „um zu gewährleisten, dass das Volk umfangreiche Rechte und Freiheiten nach dem Gesetz genießt, dass die Menschenrechte respektiert und garantiert und alles staatliche Handeln gesetzmäßig durchgeführt wird“. Vereinbart wurden zunächst Gespräche über Wirtschafts- und Verwaltungsrecht, von dessen Verbesserung in China auch deutsche Investoren profitieren würden. Später, so die deutsche Hoffnung, werde größeres Rechtsbewusstsein auch politische Reformen ermuntern und damit die Menschenrechte stärken.

Mittlerweile haben in China und Deutschland Tagungen von Rechtspolitikern, Justizbeamten und Juraprofessoren beider Seiten stattgefunden. Doch wer nach Ergebnissen fragt, dem wird der Weg als Ziel erklärt: „Der Erfolg des Rechtsstaatsdialogs mit China besteht darin, dass er überhaupt stattfindet“, sagte der Sprecher des Bundesjustizministeriums, Thomas Weber, gegenüber der taz. „Den Blick nur auf Chinas Hinrichtungszahlen zu richten, wird dem Rechtsstaatsdialog nicht gerecht.“ Hinrichtungen seien zu kritisieren, aber der Dialog sei damit nicht gescheitert, er sei ein langfristiger Prozess.

Das sieht die frühere Justizministerin und heutige FDP-Bundestagsabgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ein wenig anders: Sie hält die rot-grüne Menschenrechtspolitik gegenüber China für gescheitert. „Sie wird ihren selbst formulierten Ansprüchen nicht gerecht“, so die Exministerin. „In China hat sich die Lage der Menschenrechte nicht verbessert, aber das wird bei den Besuchen deutscher Regierungspolitiker nicht mehr offen angesprochen.“ Damit meint sie die letzte China-Reise des Kanzlers. Der hatte im November in Peking das Überreichen von Listen politischer Gefangener als nutzloses „Ritual“ abgetan und stattdessen auf den Rechtsdialog verwiesen. „Für die Menschenrechte hat der Rechtsstaatsdialog aber bisher nichts gebracht“, meint Leutheusser-Schnarrenberger. Ein Dialog auf hoher Ebene sei grundsätzlich positiv, aber: „Der Rechtsstaatsdialog ist kein Selbstzweck. Er muss erfolgsorientiert angelegt sein und zur messbaren Verbesserung der Menschenrechtssituation führen.“

Auch der China-Experte von amnesty international, Dirk Pleiter, verweist darauf, dass in dem im vergangenen Juni vereinbarten 18-Punkte-Programm nur der letzte Punkt die Menschenrechte nenne. „Zwar ist das Wirtschaftsrecht zu verbessern, doch damit ist nicht notwendigerweise etwas für die Menschenrechte getan“, kritisiert Pleiter. Thomas Weber vom Bundesjustizministerium ist dagegen froh, dass wenigstens der letzte Punkt die Menschenrechte explizit anspreche.

In China gebe es zwar die Tendenz, sich aus dem westlichen Wirtschaftsrecht die interessanten Dinge rauszusuchen und bei politischen Reformen und Bürgerrechten zu mauern, sagt die Direktorin des deutsch-chinesischen Instituts für Rechtswissenschaft in Göttingen und Nanking, Christiane Wendehorst. Dennoch sei zum Beispiel auch bei der im November veranstalteten Tagung „Infrastrukturmaßnahmen und Bürgerbeteiligung“ die Menschenrechtsfrage zentral gewesen. Das von Wendehorst und einem chinesischen Kodirektor geleitete Doppelinstitut wurde 1989 mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsrecht gegründet und war die erste Kooperation im Rechtsbereich. Sie wurde seitdem deutlich ausgebaut. Hinter dem 18-Punkte-Programm verbergen sich denn auch zahlreiche Altprojekte, die seit der Kohl-Ära laufen. Beispielsweise berät die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) seit Jahren das chinesische Arbeitsministerium bei der Entwicklung eines neuen Arbeits- und Sozialversicherungsrechts. Inzwischen erhielten diese und andere Tätigkeiten das Etikett Rechtsstaatsdialog – als hätte Rot-Grün sie neu erfunden.

Wendehorst sieht den Rechtsdialog als Mittelweg zwischen einer offensiven, öffentlich anklagenden Menschenrechtskritik und einer passiven Menschenrechtspolitik à la „Wandel durch Handel“. Leutheusser-Schnarrenberger meint dagegen, Menschenrechtspolitik lebe davon, Menschenrechtsverletzungen öffentlich zu machen und ihre Beseitigung öffentlich einzufordern. Das erzeuge den nötigen Druck. „Das spricht nicht gegen die Zusammenarbeit in anderen Bereichen“, sagt die Exministerin.

Doch inzwischen wurde der – zumindest öffentlich wahrnehmbare – Druck auf Peking reduziert, wohl auch aus Sorge, er könne den Dialog gefährden. „Es ist doch ein Skandal, dass erstmals seit zwölf Jahren bei der jetzt in Genf tagenden Menschenrechtskommission kein Versuch unternommen wird, eine chinakritische Resolution einzubringen“, kritisiert Pleiter von ai. Zwar seien bisherige Versuche gescheitert, doch hätte China auch jedes Mal gezeigt, dass es auf Druck reagiere.

Laut Pleiter sieht sich amnesty international inzwischen in seinen Befürchtungen bestätigt, dass die Frage der Menschenrechte in den deutsch-chinesischen Beziehungen in den Rechtsstaatsdialog quasi abgeschoben werde. „Der Dialog ist die neue Variante der stillen Diplomatie“, meint Pleiter. „Nach den bisherigen Erfahrungen mit China weiß man doch, dass die Menschenrechtslage mit einem Dialog allein nicht verbessert werden kann. Leisetreterei allein nützt nichts. Es ist auch politischer Druck nötig.“

In China wird dagegen die geringe finanzielle Unterstützung des Dialogs durch die Bundesregierung kritisiert. Mi Jian, Professor an der Universität für Politik und Recht in Peking, hatte auf Fördermittel für die Übersetzung deutscher Rechtsliteratur im Rahmen des Dialogs gehofft. Doch die Expertengruppe muss bis heute ehrenamtlich arbeiten. Mi, nach Meinung deutscher Professoren einer der profiliertesten Kenner des deutschen Rechts in China, schlug ebenfalls vor, Projekte zur Fortbildung chinesischer Juristen in der Provinz zu starten. Doch seine Anfrage wurde abgelehnt, der Vorschlag sei „nicht regierungsnah“ genug. Nun muss sich Mi ausgerechnet an die amerikanische Ford-Stiftung wenden, um deutsche Gesetzbücher ins Tibetische übersetzen zu lassen.

Professorin Wendehorst vermisst bei dem Dialog die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen. „Es wäre wünschenswert, die Bürger nicht nur in Rechtsfragen fortzubilden, sondern sich auch stärker in der Ausbildung der Juristen zu engagieren“, meint sie.

Alle Befragten halten zwar einen Rechtsstaatsdialog potenziell für geeignet, zum Wandel in China beizutragen. Und deshalb lehnt auch keiner der Befragten ihn grundsätzlich ab. Doch in einem sind sie sich einig: Der Dialog kann nur Teil einer umfassenden Menschenrechtspolitik sein, ersetzen kann er sie nicht.

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