piwik no script img

Heiß auf Chinesen

Tischtennis-Europameister Timo Boll plant nach dem doppelten Gold in Zagreb den Angriff auf die Weltspitze

BERLIN taz ■ „Er hat in seinem Spiel mehr vom genialen Schweden Jan-Ove Waldner als von mir“, adelt Jörg Roßkopf seinen Mannschaftskameraden beim TTV Gönnern. Der Vergleich mit dem besten Tischtennisspieler aller Zeiten ist eine besondere Auszeichnung für Timo Boll, heimste doch Roßkopf selbst in seiner Karriere 16 Medaillen bei internationalen Wettbewerben ein, darunter auch Gold bei der Europameisterschaft 1992. Zehn Jahre danach trat Boll nicht nur aus dem langen Schatten des verletzten deutschen Rekordnationalspielers heraus. Der als Roßkopfs Kronprinz titulierte 21-Jährige übernahm das Zepter auf dem Alten Kontinent gleich mit. Im Einzel-Finale in Zagreb schlug Boll den Griechen Kalinikos Kreanga in sechs Sätzen. Tags zuvor hatte der Linkshänder bereits mit seinem Doppelpartner Zoltan Fejer-Konnerth die Polen Lucjan Blaszczyk/Tomasz Krzeszweski mit 4:0 entzaubert.

Am seidenen Faden hing der goldene Glanz im Einzel. Weniger sorgte Timo Boll der Matchball von Werner Schlager im sechsten Satz des Halbfinales. „Beim 9:10 war ich ja wieder dran und glaubte an meinen Sieg“, beschreibt der Europe-Top-12-Sieger seine Gefühlswelt in der kritischen Phase, „ich lag aber bereits mit 4:8 hoch zurück. Das hat mich angekotzt. Ich hatte schon mit mir gehadert, konnte mich aber nochmals zusammenreißen.“ Der siebte Satz gegen den Weltranglistenzehnten aus Österreich wurde dann zum leichten Spiel – wie auch die beiden letzten Durchgänge gegen Kreanga. „Timo war einfach mental stärker“, gratulierte der 30-Jährige seinem Bezwinger zum „perfekten Turnier“.

Neben seiner deutlich verbesserten Fitness („Ich musste erst lernen, meinen inneren Schweinehund zu überwinden“) und seinem famosen Händchen, das alle technischen Raffinessen erlaubt, zeichnet Boll vor allem Optimismus aus. Zaudert die Konkurrenz und wägen die Trainer stets vorsichtig ab, ist für den Aufsteiger des Jahres aus Höchst im Odenwald der nächste Gegner nicht automatisch der schwerste. Sowohl gegen Schlager wie auch Kreanga verwies der dreifache deutsche Meister vor den Duellen furchtlos auf seine imposanten Siegesserien gegen beide Kontrahenten.

Noch überlegener wirkte das Doppel. Lediglich die Niederländer Trinko Keen und Danny Heister vermochten dem deutschen Parade-Duo im Halbfinale zwei Sätze abzuluchsen.

Am Rande der Banden in Zagreb drehten Chinesen eifrig Videos. Nicht, weil die asiatischen Mädchen den jungen Deutschen niedlich finden. Der neue Europameister gilt als die „weiße Gefahr“. In der nächsten Weltrangliste dürfte der Hesse von Platz sechs auf einen der drei ersten Ränge klettern. Mitten hinein in die Phalanx der übermächtigen Chinesen. „Timo hat das Potenzial, sie bei großen Wettkämpfen zu schlagen“, unterstreicht DTTB-Cheftrainer Dirk Schimmelpfennig. Boll will sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Für ihn lautet der nächste Schritt, „die Chinesen anzugreifen. Dafür muss ich aber hart an mir arbeiten und trainieren. Ich bin heiß auf mehr.“ HARTMUT METZ

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen