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„Die PDS vorne? Warum nicht!“

„Die PDS könnte Höppner nach zwei Jahren ablösen“

Interview STEFAN REINECKE und EBERHARD SEIDEL

taz: Herr Tschiche, Sie haben 1994 das Magdeburger Modell erfunden – die rot-grüne Regierung, die von der PDS toleriert wurde. Damit wurde die PDS salonfähig, und die Bündnisgrünen verschwanden in der Versenkung. Sind Sie der Totengräber der Grünen im Osten?

Hans-Jochen Tschiche: Nein. Richtig ist, dass wir 1994 die PDS hoffähig gemacht haben. Aber entscheidend für den Absturz bei den Wahlen 1998 war der grüne Parteitag in Magdeburg mit seinem famosen Beschluss, das Benzin bis auf fünf Mark zu verteuern. Das hat uns das Genick gebrochen. Aber selbst wenn wir es 1998 noch mal geschafft hätten – es gibt eine strukturelle Schwäche: Das grüne großstädtische Klientel, das im Widerstand gegen die Eltern groß wurde, existiert im Osten kaum.

Die PDS, Herr Gärtner, müsste dem Grünen Hans-Jochen Tschiche doch richtig dankbar sein.

Matthias Gärtner: Der Niedergang der Grünen im Osten liegt nicht daran, dass Tschiche der PDS die Tür geöffnet hat. Die Grünen kommen im Osten nicht an, weil sie kein Sensorium für den Osten haben. Das Problem der Grünen ist nicht, dass sie zu viele wie Tschiche haben, sondern dass sie zu wenige wie ihn haben. Die Grünen gelten hier als Partei der besser Verdienenden, als Westpartei und als 68er-Partei. Ich glaube, dass es auch in Sachsen-Anhalt eine grüne Klientel gibt. Aber dieses zum Beispiel studentische Publikum bevorzugt die PDS gerade wegen unserer Flüchtlingspolitik. Viele Kleinbürgerliche wählen uns trotz unserer Flüchtlingspolitik, manche gerade deswegen. Die Grünen haben es versäumt, sich auf diesem Feld zu profilieren.

Tschiche: Das Problem mit den Grünen und dem Osten sitzt tiefer. Die Grünen kommen aus einer emanzipatorischen, antietatistischen Tradition, in der Ordnung und Sicherheit nicht viel zählten. Der Osten ist stärker autoritär geprägt. Daher auch die 13 Prozent DVU-Wähler letztes Mal, daher die Fremdenfeindlichkeit. Man erwartet noch immer, dass der Staat die Lage verbessert. Daher kommt die Attraktivität der PDS, der diese Grundstimmung nutzt.

Gärtner: Die Bündnisgrünen leben zu viel in der Vergangenheit: manche in der 68er-Geschichte, andere von den Heldentaten 1989. Darin steckt eine Verweigerung der Gegenwart. Deshalb haben die Ostgrünen dieses Jammerimage, immer nur über Stasi und SED zu reden. Und wenn Claudia Roth und Fritz Kuhn in den Osten reisen, hat das die gleiche Anmutung wie die Kanzler-Trips in den Osten.

Tschiche: Die Grünen sind im Osten einfach nicht verwurzelt. Als wir 1994 regiert haben, hatten wir 350 Mitglieder. Hinzu kommt die Wiederkehr der FDP im Osten. Es gibt bei den Jüngeren viele, die PDS wählen – aber auch viele, die aufsteigen wollen und dabei ihren Ellenbogen benutzen. Da werden wir von zwei Seiten eingezwängt. Und den Westgrünen waren wir immer zu kleinbürgerlich, zu piefig. Als wir bis 1998 mit der SPD regiert haben, wurden wir bei der Aufzählung rot-grüner Regierungen in der Regel vergessen.

Gärtner: Viele linke Westintellektuelle können mit dem Osten nichts anfangen. Das gilt nicht nur für die Grünen. Die taz schreibt ja auch nur über Magdeburg, wenn dort Ausländer gejagt werden – sonst nicht.

Die Bündnisgrünen machen in Sachsen-Anhalt Wahlkampf mit 50.000 Euro. Es gibt noch nicht mal genug grüne Kandidaten für alle Wahlkreise. Und dass die Partei im nächsten Landtag sitzen könnte, glaubt niemand. Welchen Sinn haben die Grünen in Sachsen-Anhalt noch?

Tschiche: Die grünen Themen bleiben: Umwelt und Bürgerrechte. Und wenn die PDS regiert, wird es Abnutzungserscheinungen geben. Davon werden wir profitieren. Die PDS war zum Beispiel immer gegen den Bau der Autobahn Magdeburg–Schwerin. Jetzt sagt die SPD: ohne Autobahn keine Koalition – und die PDS wankt. Wenn die Großen Kompromisse machen, ergeben sich Räume für die Kleinen.

Die wirtschaftliche Lage in Sachsen-Anhalt ist trostlos: 21 Prozent Arbeitslose. Alle versprechen, das zu ändern – aber wie, weiß niemand. Macht es da einen großen Unterschied, ob Rot-Rot oder Rot-Schwarz regiert?

Gärtner: Natürlich. Unter Rot-Schwarz wird der Kampf gegen den Rechtsextremismus in einen Kampf gegen Extremismus umgetauft, weil angeblich rechts gleich links ist. Es wird weniger Geld für bestimmte Projekte geben. Die Union will die so genannten investiven Ausgaben erhöhen und die konsumptiven senken: also weniger Arbeitsbeschaffung und weniger Kinderbetreuung. Da steht ein Kurswechsel an.

Die PDS liegt nach jüngsten Umfragen vor der SPD – aber einen PDS-Ministerpräsidenten dürfte die SPD nicht akzeptieren.

Gärtner: Die SPD wird sich – falls die Wahl so ausgehen sollte – überlegen müssen, ob sie unter einer starken CDU und mit einer starken PDS-Opposition im Nacken leben will.

Das heißt, Sie glauben, dass die SPD einen Ministerpräsidenten von der PDS akzeptieren würde?

Gärtner: Warum nicht? Vorstellbar ist das durchaus. Den Ministerpräsidenten stellt der stärkere Koalitionspartner. Das ist in Demokratien so.

Damit riskieren Sie sehenden Auges eine große Koalition. Wäre es für die PDS nicht klüger, eine Leihstimmenaktion zugunsten der SPD zu starten, um dann als kleinerer Partner in die rot-rote Regierung einzusteigen?

Gärtner: Für die Schwäche der SPD bin nicht ich verantwortlich. Es gibt keinen Grund, auf eine PDS-Stimme zu verzichten. Diese Wahl ist auch das Signal für die Bundestagswahl.

Tschiche: Es gibt ja noch mehr Möglichkeiten. Die SPD könnte bis nach der Bundestagswahl mit der CDU regieren. Oder die PDS könnte noch zwei Jahre Höppner ertragen und dann den Ministerpräsidenten stellen.

„Den Regierungschef stellt die stärkere Partei. Das ist halt so“

Für die PDS werden auch eine Menge junger Männer votieren, die letztes Mal DVU gewählt haben. Was machen Sie mit denen?

Gärtner: Reden. 1998 ist die DVU ohne Direktkandidaten angetreten. In meinem Wahlkreis hatte die PDS weit mehr Erst- als Zweitstimmen. Viele haben mich als Direktkandidaten gewählt – und als Partei dann die DVU. Das war ziemlich bizarr. Aber es ist ein Ansatzpunkt, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Die Gefahr, dass die PDS mit Rücksicht auf diese Wählerklientel bestimmte Positionen zur Flüchtlingspolitik fallen lässt, ist allerdings real. Ich kämpfe dafür, dass das nicht passiert.

Sie sind diesmal auf Listenplatz 22 gelandet, deutlich schlechter als bei der letzten Landtagswahl 1998. Ist das ein Indiz für eine Veränderung in der PDS?

Gärtner: Es kann schon sein, dass das mit meinen Positionen zu Rechtsextremismus, Flüchtlingspolitik und Vergangenheitsbewältigung zu tun hat. Aber das ist spekulativ.

Sehen Sie die Gefahr, dass bürgerrechtliche Positionen an den Rand gedrängt werden, je mehr die PDS zur Volkspartei wird?

Gärtner: Es soll in der PDS ein Zentrum geben, vertreten von Roland Claus, Dietmar Bartsch und anderen. Und es soll einen linken Flügel geben mit Leuten wie mir oder Angela Marquardt. Das soll dann so funktionieren wie bei der SPD: Der linke Flügel darf mal was sagen, aber entscheiden tun andere. Genau das will ich nicht.

Herr Tschiche, was würden Sie Gärtner raten: Wo endet die Loyalität zu einer Partei?

Tschiche: Ach, ich finde manche Leute in meiner Partei furchtbar – aber ich gehe nicht raus. Ich habe eine Art innerer Treueverpflichtung. Ich finde es schäbig, wenn der Kahn sinkt, als Ratte das Schiff zu verlassen. Mich hat meine Partei in Sachsen-Anhalt zum Ehrenvorsitzenden gemacht – ich bin der einzige grüne Ehrenvorsitzende in der ganzen Republik. Demontage der Promis gibt es bei uns nicht. Trotzdem heißt das im Klartext: Ich stehe im Sackbahnhof und darf hin und wieder mal aus dem Fenster winken.

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