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harald fricke über ShoppingWaren-Erkenntnis und der Weg als Ziel

Wo die Orange, die Okraschote oder das Fahrrad herkommen, ist trotz Postmoderne erfahrbar

Eine Bekannte aus Kanada, die sich gut mit Kunst auskennt, erzählte mir vor kurzem von einer Idee für eine Ausstellung. Man sollte doch einmal prüfen, wo die Dinge des täglichen Konsums denn eigentlich herkommen – aber nicht nur ungefähr, sondern ganz genau. Deshalb würde sie zum Beispiel gerne der Geschichte einer spanischen Orange vom Obststand im Supermarkt über den Großhändler zurück bis an den konkreten Baum in Marbella oder Valencia hinterherrecherchieren. Die Aktion ließe sich gut per Video oder mit Fotos dokumentieren. Nebenbei könnte man noch Lkw-Fahrer zu ihren Arbeitsbedingungen beim Orangentransport interviewen oder mit den Bauern vor Ort über Absatzmärkte, Pflanzenschutz und ökologischen Anbau sprechen. Am Ende würde man vielleicht sogar etwas besser verstehen, wie die Globalisierung aus der Obstperspektive funktioniert. Dabei dachte sie an ihre Schwierigkeiten bei der Lektüre von Toni Negris und Michael Hardts „Empire“-Bibel, während ich mir unter der groß angelegten Fruchtforschung eher eine neue „Sendung mit der Maus“-Folge vorstellen konnte.

Weil mir Orangen für ein solch aufwändiges und theoretisch höchst vertracktes Kunstprojekt viel zu gewöhnlich erschienen, hielt ich mit komplexem Gemüse dagegen. Okraschoten, das wäre doch mal was. Du kaufst sie beim türkischen Händler in der Dose, suchst auf dem Etikett nach der Firma, die das Grünzeug importiert, und pirschst dich von dort dann allmählich an das Erzeugerland heran.

Doch damit kommen auch schon die Probleme: Die Okra (lateinisch „Abelmoschus esculentus“, auf Deutsch „essbarer Eibisch“ genannt) stammt zwar ursprünglich aus Äthiopien, wird aber mittlerweile auch auf dem Balkan und selbst in Frankreich angepflanzt. Außerdem ist die Bestimmung einzelner Früchte bei Konserven ziemlich schwierig, das sind ja praktisch lauter Multitudes in Dosen. Die Sache hätte allein den Vorteil, dass man für einen Film über Okraschoten mit der gleichnamigen LP der Gruppe Can einen klasse Soundtrack hätte, der angenehm zu den Bildern der immerhin zweieinhalb Meter hohen Pflanzen psychedelisch wabern würde. Das fand die Bekannte auch, und so beschlossen wir, uns irgendwann mal wieder Cans „Ege Bambyasi Okraschoten“ anzuhören und die Sache mit der Gemüse-im-Kontext-Kunst zu vergessen.

Trotzdem ist etwas dran an der Geschichte. Tatsächlich ist in letzter Zeit das Interesse am Background der Waren gewachsen. Seit Naomi Klein „No Logo“ geschrieben hat, weiß man, wer wo und zu welchem Lohn für Addidas Trainingshosen näht. Obwohl sich die Produkte auf dem Weltmarkt mehr und mehr vereinheitlichen, finden sich dabei plötzlich Wege, die einzelnen Arbeitsleistungen zu differenzieren und individuell zu bestimmen – entgegen der Vorstellung vom abstrakten Herstellungsprozess. Schaut her, sagt Naomi Klein, das ist die konkrete Frau, die als Akkordarbeiterin in Mexiko oder auf den Philippinen ausgebeutet wird, so lebt sie, so schläft sie, so bringt sie ihre Kinder durch. Mit diesen Fallstudien kehrt ein Subjekt zurück, das in der Postmoderne längst unter Codes und Zeichen begraben war: Ich arbeite, also bin ich.

Aber eigentlich ging es ja um die Herkunft von Orangen und Okraschoten. Mir fällt dazu noch ein Künstler aus Schottland ein, der in seiner Begeisterung für eben jene Dinge des täglichen Konsums den umgekehrten Weg geht. Statt zu fragen, von welchem Baum diese Frucht wohl stammt, würde er gleich selbst Bäume pflanzen. Der Künstler heißt Simon Starling, und er forscht – fast wie ein Zauberlehrling in Zeiten der Fernsehmaus – nach der stofflichen Zusammensetzung von Produkten. Zuletzt hat er gelernt, dass man für ein Fahrrad vor allem Bauxit braucht. Denn das Mineral ist der Rohstoff, aus dem sich Aluminium herstellen lässt.

Dafür muss es aber zunächst in Minen abgebaut werden, zum Beispiel im südfranzösischen Les Baux de Provence. Also ist Starling letztes Jahr dorthin gefahren, um sich eine Sackladung Steine zusammenzuschürfen. Zu Hause hat er das Bauxit mit einem Mörser zerrieben und den Staub in einem chemischen Prozess in Schlacke verwandelt, die danach in einem selbst gebastelten Ofen bei 1.000 Grad zu Aluminium geschmolzen wurde. Das flüssige Metall hat er in eine handgemachte Form gegossen – und schon war das erste Teil für seinen Fahrradrahmen fertig.

Zu sehen gab es die Ergebnisse im Hamburger Kunstverein, da lag Starlings Do-it-yourself-Equipment in einem Kreis über den Raum verteilt aus. Natürlich hagelte es Kritik, empfanden Besucher die Inszenierung bloß wieder als Schabernack, den die Kunst mit den Dingen treibt, wenn sie Wirklichkeit meint. Aber das ist ein Irrtum, wo doch viel mehr das Gegenteil zählt: Wer nur das fertige Produkt sieht, weiß nichts von dessen Wirklichkeit. Das gilt für Kunst und auch für Obst und Gemüse.

Fragen zu Shopping? kolumne@taz.de

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