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Wo die DVU eine Lücke lässt

„In den Werten und Genen, die ich von meinen Eltern bekommen habe, steckt das Nationale drin“

aus Schönebeck und Magdeburg BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

Am Klingelschild steht der Name Mrugalla zweimal. In dem zweistöckigen Haus am Rande von Schönebeck, einer Stadt mit 40.000 Einwohnern 15 Kilometer von Magdeburg entfernt, wohnen oben die Eltern, unten einer der beiden Söhne mit Freundin und Kind. Drei Generationen unter einem Dach, das ist heute eine Seltenheit. Von geringerem Seltenheitswert ist die Arbeitslosigkeit, von der die Familie betroffen ist. Der Vater verlor vor fünf Jahren seine Anstellung als Maschinenreparaturschlosser. Seine Frau, die zu DDR-Zeiten in einem Traktorenwerk und nach der Wende in der Altenpflege beschäftigt war, hat seit zehn Jahren keine Arbeit mehr. Der jüngere der beiden Söhne, Dachdecker von Beruf, sucht seit drei Jahren einen Job.

Der einzige Mrugalla, der Arbeit hat, ist der 36-jährige Dietmar, der nicht mehr zu Hause wohnt. Der Mechaniker arbeitet als Referent. Bei der Fraktion der Deutschen Volksunion, die 1998 in Sachsen-Anhalt mit 12,9 Prozent der Stimmen in den Landtag einzog (siehe Kasten). An der Schaffung dieses Arbeitsplatzes war die ganze Familie beteiligt. Bis auf den zwölfjährigen Enkel haben alle im Haus vor vier Jahren DVU gewählt. Die Partei, die sie inzwischen maßlos enttäuscht hat und die bei der Wahl am 21. April gar nicht mehr antritt.

Klaus Mrugalla ist einer, der seine politischen Entscheidungen wichtig nimmt. Der 59-jährige Großvater hat einen Zettel vorbereitet, auf dem er sich die wichtigsten Daten zur Entwicklung der DVU in Sachsen-Anhalt notiert hat. „Es war eindeutig Protest und Enttäuschung“, erklärt er seine Wahlentscheidung von 1998. Sein Sohn Dietmar, ein hoch gewachsener Mann mit im Fitnessstudio gestähltem Körper, frisch rasierter Glatze und hauchdünnem Kinnbart, ergänzt: „Wir wollten zum Ausdruck bringen, wir sind unzufrieden mit der Landespolitik.“ Das war nicht alles. „Ich bin von Geburt an national, wenn man das verstehen kann“, sagt Klaus Mrugalla und guckt sehr ernst und stolz dabei. „In den moralischen Werten und Genen, die ich von meinen Eltern bekommen habe, steckt das Nationale drin.“ Sein Sohn nickt zustimmend. Dietmar Mrugalla saß in der DDR einige Jahre wegen Beleidigung im Gefängnis. Kurz kurz vor dem Mauerfall reiste er aus und ging nach Paderborn. 1994 kehrte er der dortigen „Spießergesellschaft“, wie er es nennt, den Rücken.

Nach der Landtagswahl vor vier Jahren traten Vater und Sohn der DVU bei. Klaus Mrugalla wurde Vorsitzender eines Kreisverbandes, Dietmar Mrugalla Referent in der Fraktion. Natürlich abonnierten sie auch die vom DVU-Chef Frey herausgegebene National-Zeitung.

Bis 1998 hatte die Familie CDU gewählt. Klaus Mrugalla sagt, sie hätten gehofft, bei den Christdemokraten „geistige Freiheit“, „das Nationale“, „soziale Gerechtigkeit und Anstand“ zu finden. Dann tauchte die DVU auf und verbreitete Parolen wie „Mach deine Stimme zur Proteststimme“, „Lass dich nicht zur Sau machen“ und „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“. Dietmar Mrugalla entdeckte bei der Partei „Werteverkörperung“ und „Handeln und Denken fürs Vaterland“. Ungefragt betont er, seine Glatze nur zu tragen, „weil ich keine Haare habe“, und regt sich auf, dass die DVU als rechtsextremistisch eingestuft wird. Um das Bild nicht zu verstärken, wollen sich Vater und Sohn nicht vor der Wand mit den Holztellern mit der „schönen Mosel“ drauf fotografieren lassen. Auch nicht vor der Schrankwand mit Büchern wie „Deutschland wie es einmal war“. „Wenn wir rechtsradikal sind“, schimpft Dietmar Mrugalla, „dann müsste die DDR ein nationalsozialistischer Staat gewesen sein.“ Sein Vater erläutert: „Ich bin nationalsozialistisch erzogen worden – Sozialismus bezogen auf eine Nation.“

Zwei Wochen vor der Wahl kommen die großen Parteien in Sachsen-Anhalt auf ihren Plakaten eher verhalten daher: „Unser Land schafft die meisten Ausbildungsplätze“ (SPD), „Stark für Sachsen-Anhalt“ (CDU), „Jetzt muss es sein“ (PDS). Die Sprüche vom rechten Rand hören sich anders an: Die Abspaltung der DVU, die Freiheitliche Deutsche Volkspartei (FDVP), wirbt mit dem Konterfei von Jörg Haider. „Ausländer? Wir verstehen die Sorgen unserer Bürger!“, heißt es und: „Jetzt reicht’s. Beenden wir die rote Herrschaft“. Die Partei des Hamburger Innensenators Ronald Schill arbeitet mit dem Image ihres Gründers, der auch „Richter Gnadenlos“ genannt wird: „Drogendealer sofort einsperren“, „Gnadenlos gegen Asylmissbrauch“ und „Sicherheit schafft Arbeit“. Nach einer Emnid-Umfrage glauben 65 Prozent der Wähler in Ostdeutschland den Inhalten von Plakatwerbung.

Klaus und Dietmar Mrugalla haben sich noch nicht entschieden. Entweder gehen sie gar nicht wählen. Oder sie machen ihr Kreuz wieder bei der CDU. Oder sie stimmen für die Schill-Partei. Noch ist der Familienrat nicht zu einer einhelligen Meinung gekommen. Auch muss die Frau von Klaus Mrugalla, eine nett wirkende korpulente Frau von 55 Jahren, auf Kurs gebracht werden. Auf welchen auch immer. „Himmelhoch jauchzend“ habe sie vor vier Jahren die DVU gewählt, erzählt sie. Als sie die arbeitslosen Familienmitglieder aufzählt, bricht sie in Tränen aus. Weil sie von keiner Partei mehr Arbeitsplätze erwarte, wolle sie jetzt die Schill-Partei „ausprobieren“. Wegen der Sicherheit und dem „Gesindel nach 17 Uhr auf der Straße“. Aber in einer deutschen Familie nach der Lesart von Klaus und Dietmar Mrugalla darf die Ehefrau und Mutter keine Meinung haben, bevor die Männer ihr gesagt haben, für wen sie zu sein hat. „Wähl mal gar nicht, Mutti“, stellt ihr Sohn zunächst einmal klar. Und: „Mutti, hast du schon gesagt, dass du für den Frieden bist?“

Die Mutter blickt zu Boden. „Ich bin nicht so redegewandt“, entschuldigt sie sich und erzählt, wie gerne sie mit nach Passau zur DVU-Kundgebung gefahren wäre. Aber sie musste auf den Enkel aufpassen. Ihre Stimme für die DVU vor vier Jahren sei keine Protestwahl gewesen, sagt sie: „Ich passte mich den Äußerungen meines Mannes an.“ Als müsste sie sich wieder entschuldigen, fügt sie hinzu: „Bei so vielen Personen im Haus muss irgendeiner das Wort haben. Mein Mann sagt, wo es langgeht.“ Klaus Mrugalla nickt. „Sie hat andere wichtige Aufgaben.“ Der Sohn erklärt: „Sie wird die Schill-Partei sicher nicht wählen. Ein normaler Nationaler wird die nicht wählen.“ Später will er wieder nicht ausschließen, dass er vielleicht doch Schills „Rechtsstaatliche Offensive“ wählt.

Weiter in ihrer Entscheidung sind die Günters, die in einem zehnstöckigen Neubau im Norden von Magdeburg wohnen. Zusammen mit ihrem Schoßhündchen, einer Sammlung aus Schmetterlings-Aufklebern an Türen und Fenstern und Dutzenden von Katzen, Elefanten und Enten aus Porzellan in der Vitrine. Auch sie haben die DVU einmal gut gefunden, Klaus und Dietmar Mrugalla kennen Horst und Christine Günter vom DVU-Stammtisch. Horst Günter, ein 70-jähriger Invalidenrentner, ist ehemaliges Mitglied der Deutschen Sozialen Union (DSU), die die CSU nach dem Mauerfall in Ostdeutschland vergeblich zu etablieren versuchte. Schuld daran, dass es nicht klappte mit der DSU, sind nach Horst Günters Überzeugung, „Geheimdienst und Verfassungsschutz“. Weil sich die PDS in Sachsen-Anhalt „zu breit machte“, wechselte das Ehepaar, das zu DDR-Zeiten einen Ausreiseantrag gestellt hatte, aber nicht ausreisen durfte, zur DVU.

Horst Günter beschreibt sich als „national denkend und demokratisch“. Christine Günter betont das demokratisch und ihre damalige Hoffnung, dass es mit der DVU „etwas national in Deutschland“ werde. Immerhin fanden die beiden bei der DVU-Fraktion einen Job. Er fungierte für 630 Mark als „Berater“, sie fand eine Anstellung im „Rechnungswesen“, ohne jemals Rechnungen gesehen zu haben, wie sie sagt. Nachdem sich die DVU im Landtag durch Finanz- und andere Skandale selbst dezimiert hat und beide ihren Stelle verloren haben, fühlen sie sich betrogen. Christine Günter spricht von „Halunken“, ihr Mann nennt die Abgeordneten „geistigen Müll“. Deshalb werden die beiden diesmal CDU wählen. Obwohl sie über die „Farblosigkeit“ der Partei schimpfen und darüber, dass sie Ausländer „auf Teufel komm raus reingelassen hat“. Aber, sagt Christine Günter, „Stoiber soll Bundeskanzler werden“.

Einig sind sich die Günters mit Vater und Sohn Mrugalla in ihrer Enttäuschung über die kaum noch existente DVU-Fraktion im Landtag. Die habe die „nationale Sache“ mit ihren Affären in den Schmutz gezogen. Im Februar ist Klaus Mrugalla als Kreisvorsitzender zurückgetreten. Damit sein Weltbild nicht vollends ins Wanken gerät, hält er sich an der Theorie fest, dass Spitzel des Verfassungsschutzes den Untergang der DVU provoziert hätten.

Auch die Tage von Dietmar Mrugalla bei der DVU sind gezählt. Ende April endet sein Arbeitsvertrag in der Fraktion. Nachdem er einen der Finanzskandale aufgedeckt hatte, wurde er gekündigt, klagte dagegen, und nach einem Wiedereinstellungsverfahren wurde sein Arbeitsvertrag verlängert. „Ab 1. Mai bin ich offiziell arbeitslos.“ Mit der rechten Hand fasst er sich an die linke Brust. „Im Herzen bleiben wir national.“

Die National-Zeitung haben Vater und Sohn abbestellt. Weniger aus Enttäuschung über die Partei, sondern weil sie „nichts Neues mehr erfahren“, wie Klaus Mrugalla sagt. Parteimitglieder sind Vater und Sohn geblieben. Sie haben den Jahresbeitrag für 2002 schon im vergangenen Jahr bezahlt.

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