Brustkrebssterblichkeit sinkt

■ In Holland und England sinkt die Brustkrebssterblichkeit – wie auch in Deutschland, obwohl es ein Brustkrebs-Screening hier nicht gibt. Deutungen

Die Debatte um die epidemiologische Forschung zum Mammographie-Screening läuft noch. Neun Monate nach Beginn des Bremer Modellprojekts ist offen, wie eine unabhängige Begleitforschung aussehen wird (siehe Kasten). Die Entscheidung soll – entgegen früheren Angaben des Projektes – im Mai fallen. Das Bremer Institut für Prävention und Sozialmedizin (BIPS) hat sich immer Hoffnung gemacht, daran mitzuwirken. Die taz wollte vom BIPS-Epidemiologen Dr. Klaus Giersiepen wissen, was denn noch erforscht werden muss?

Klaus Giersiepen: Die Pilotprojekte sollen zeigen, ob man für das Ziel, die Sterblichkeit an Brustkrebs zu senken, aus dem Ausland bekannte Werkzeuge an hiesige Verhältnisse anpassen kann, die den Erfolg später messbar machen können.

taz: Heißt?

Dass ich im kleinen Bremer Maßstab nie herausfinde, ob sich Brustkrebssterblichkeit senken lässt. Dafür reichen die Fallzahlen nicht. Aber ich kann testen, ob der Werkzeugkasten dies im Großen garantiert. Man muss ja auch bedenken, dass das Modell-Projekt geplant wurde, als die Untersuchungen über Screening-Erfolge als gesichert galten.

Dann macht sich die Senatorin falsche Hoffnungen, die wissen will, welche Wirkung das Screening neben anderen Faktoren hat?

Selbst wenn die Bremer Frauen acht Jahre lang regelmäßig geröntgt würden, könnten wir sinkende Brustkrebs-Sterblichkeit nicht belegen. Aber wenn auf allen Ebenen sauber genug gearbeitet wurde, können wir diese Frage untersuchen. Hieße: Wir haben's im Kleinen durchdekliniert, also bei den Mammographeuren im Assessment geguckt, dass die sauber arbeiten, bei den Pathologen, im Krebsregister ... alle kleinen Schrittchen, die nötig sind bis hin zur Messung der Mortalität, haben wir überprüft – und man kann das übertragen.

Sind Sie mit sowas nicht ein bisschen spät dran – die Zeichen stehen doch auf bundesweites Screening.

Die Ereignisse haben uns überholt. Als das Projekt aufgelegt wurde, war von flächendeckend noch keine Rede. Die Modellprojekte laufen also noch, während schon bundesweites Screening eingeführt werden soll.

Wenn alle Frauen schon gescreent werden, bricht Ihnen doch die nötige Vergleichsgruppe weg. Wie will man da Screening-Erfolge belegen?

Man kann das Screening bundesweit ja nicht gleichzeitig beginnen. Die nötige gute Qualität für neun Millionen Frauen, die geröntgt werden müssen, wird man nicht gleichzeitig garantieren können. Das ist nicht wie ein Schalter, den man umlegen kann. Wir könnten also das Land nach Zufallsprinzip in Landkreise einteilen, von denen die einen schon früher gescreent werden, die anderen später. Internationale Experten haben das für die Projekte in Deutschland unter anderem vorgeschlagen. Man wird den vorher-nachher-Effekt ablesen können.

Bräuchte das Bremer Projekt also keine externe Qualitätssicherung?

Wenn der letzte Satz wäre: Wir haben alle Bereiche, vom ersten Bild bis zum Totenschein von der Qualiät her begutachtet und EU-Leitlinien auf deutsche Verhältniss übersetzt – dann könnte man sagen, OK, lasst es uns über die Modellregionen hinaus ausdehnen. Aber natürlich befördert externe Begutachtung das Vertrauen in solche Maßnahmen – und es ist eine Kontrolle, die Missgeschicke verhindert.

Was ist denn von Daten zu halten, wonach die Sterblichkeit an Brustkrebs in Europa derzeit sinkt – und zwar nicht nur in Ländern, wo gescreent wird, sondern auch in Deutschland, wo es doch noch gar kein Screening gibt?

Wenn wir in verschiedenen Ländern Gruppen gleich alter Frauen vergleichen, stellen wir fest: In manchen Ländern hat die Sterblichkeit zu sinken begonnen – parallel zur Einführung des Screening, quasi am selben Tag. Das kann aber nicht sein. Denn das Bild, was ich heute mache, führt erst in rund acht Jahren zu einem Nutzen in Bezug auf messbar sinkende Sterblichkeit. Da müssen also andere Effekte reingespielt haben. Und es stimmt, auch die deutsche Quote geht seit 1996 für alle Altersgruppen runter. Hier wie in anderen Ländern streiten sich drei Gruppen um den Verdienst: Die Screener heben die Hand und sagen, wir waren das. Die Operateure beanspruchen den Erfolg für sich – wegen präzieserer chirurgischer Eingriffe. Und die Hormon- und Chemotherapeuten sagen – beispielsweise wegen Tamoxifen (Antiöstrogen, Anm. d. Red.) – wir waren das.

Ganz ohne Screening. Macht Sie das nachdenklich?

Die Engländer haben ausgerechnet, dass ein Teil dieser gesenkten Mortalitätsrate auch auf das Konto von Screening geht.

Insgesamt liegt Deutschland bei der Sterblichkeit aber vorne?

In Deutschland ist die Mortalität bis zu einem Gipfel Mitte der neunziger Jahre angestiegen. Danach ging es runter, wie in anderen europäischen Ländern. Aber natürlich sind diese Entwicklungen nicht zeitgleich gelaufen, die aber grundsätzlich auch für England und für Holland gelten – wobei die Zahlen in Holland nicht so günstig aussehen, wie bei uns in Deutschland.

Obwohl wir hier kein Screening haben?

Ja. Nun kann das an mehreren Faktoren liegen: Entweder wird hier anders gezählt oder operiert, oder es wird anders mit Chemotherapie oder Mammographie umgegangen – oder es wird so viel Geld ausgegeben, dass Frauen beispielsweise alle halbe Jahr zum Röntgen kommen und bei jeder Auffälligkeit gleich eine Gewebeprobe genommen wird. Wir wissen nicht, wie in Deutschland das sogenannte graue Screening, also das Mammographieren außerhalb des qualitätsgesicherten Screenings, läuft und mit welchem diagnostischen Apparat auf Frauen losgegangen wird.

Jede Menge Fragen – die aber aus Ihrer Sicht nicht dagegen sprechen, mit einem Screening anzufangen?

Meine persönliche Meinung ist, dass bei einem qualitätsgesicherten Screening die Vorteile gegenüber den Nachteilen für die Frauen überwiegen. Frage: ede