: Lala, Kritzelkratzel
Im Acud wurde das Buch „Portrait“ gefeiert, eine Fusion des Fanzines „Antihund“ mit der Comicfigur Jimmy Draht
Was soll man sich unter einem „Jimmy Draht“ vorstellen? Einen Jimmy, der aus Draht besteht, ein drahtiger Jimmy, dem man so leicht nichts anhaben kann? Und was ist ein Antihund? Hat der was mit dem Anti-Ödipus zu tun. Oder mit Antipop? Oder ist der schlicht das Gegenteil von einem Hund? Eine Katze also? Oder ein Hundegegner, der für die Entfernung aller Hunde aus dem Stadtbild ist?
Der Berliner Comiczeichner C.X. Huth, der sonst seltsame Wesen wie Lillpop und das Keziban erfindet, hat mit Jimmy Draht eine struppig sympathische Comicfigur geschaffen, die aber auch die Gestalt einer Doppel-LP annehmen kann. Jimmy Draht 2 zum Beispiel erschien 1998 in Gestalt des LP-Samplers „Jimmy Gimme More“ mit integriertem Comicheft. Die Münchner Autorin Katja Huber, die sich auch bei Radio Zündfunk am liebsten eigene Geschichten ausdenkt und an diesem Abend liest, schrieb schon damals im dazugehörigen Booklet, was für die im Acud präsentierte Buch-Fusion von ,Jimmy und Hund‘ zutrifft: „Jimmy will feiern und gefeiert werden. Mit Lalala und Kritzelkratzel. In Zellstoff, Zelluloid und Vinyl.“
Das Magazin Antihund erschien erstmals 1997, zusammengestellt von Valerie Trebeljahr, die im Dunstkreis von Bands wie Notwist und Console und Labels wie Kollaps und Payola mit ihrer Band Lali Puna elektronischen Low-Fi-Indie-Rock macht. Neben Abhandlungen über die Galerie berlintokyo, über Italowestern und Zeichnungen von Jan Werner von Mouse on Mars, hatte Antihund in seinen zwei Ausgaben auch Mixcassetten zu bieten. Kryptisch, aber toll. Komisch, aber kurzweilig. Die dritte Ausgabe von Antihund und die fünfte von Jimmy Draht haben sich nun zum gemeinsamen „Portrait“ verbunden. Das Ergebnis hat etwa das Format einer Ten-Inch-Platte, ist rosa und einen Zentimeter dick. Und konnte schon Jimmy Draht dies sein, aber auch das, war der Antihund schon immmer ein Fanzine für alles, was interessant ist, dann ist das Buch „Portrait“ endgültig zu einem Kessel für alles Mögliche geworden; ein Beweis, dass es sich im selbstbastelnden Untergrund immer noch am allerallerlustigsten lebt. Neben wilden Comics von C.X. Huth, Atak, Katz & Goldt enthält es eine eindrucksvoll düstere Bildererzählung von Christoph Ruckhäberle, eine kriminelle Bildergeschichte über einen toten Mann ohne Kopf.
Um das Buch auf seiner Tournee durch Deutschland zu feiern, wiederholen die Programmpunkte des Abends in der Acud-Remise das Prinzip Reizüberflutung. Blätter liegen aus, und Antihund-Herausgeberin Marion Gerth ermuntert das Publikum, die aufgedruckten Kreise auszumalen. An der Theke stehend kann man jungen Männern zusehen, die konzentriert zeichnen.
Fil betritt den Raum, und nach und nach kommen noch mehr Größen des Berliner Comicbetriebs, um das Buch des Kollegen Huth zu feiern. Zwei Drittel der übrigen Anwesenden trägt schöne Parkas. Man nimmt auf Bierbänken Platz und schaut Katja Huber beim Lesen zu. Sie liest allerdings nicht ihren Text „Ganz für sich – halb für mich“, sondern Geschichten über Silberfische und Ostern in Russland. Man hätte ihr gut länger zuhören können, aber Musik musste ja auch noch sein.
Osaka Bondage, charmante Krachmacher aus Frankreich, klingen kurz nach Mouse on Mars und kurz nach Motörhead, aber nur wenige Sekunden lang; danach wie todernster Postrock. Als einmal kurz der Gesang einer tiefen Männerstimme hineingesampelt wird, hinterlässt das eine schmerzende Leerstelle.
JULIE MIESS
Portrait. Jimmy Draht 5 und Antihund 3 Ventil Verlag / Reprodukt, 128 S. mit Vinyl-Single, 18 €
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