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Mehr Handel gegen Hunger

Oxfam-Studie: Exportchancen sind in vielen Ländern weit wichtiger als Entwicklungshilfe. Industrieländer müssen Zölle abbauen. Heute startet Kampagne für eine Neuordnung des Handels

von KATHARINA KOUFEN

128 Millionen Menschen weniger müssten in Armut leben, wenn Afrika, Asien und Lateinamerika ihren Anteil am Welthandel um ein Prozent steigern. Könnten diese Länder fünf Prozent mehr Waren exportieren als heute, erzielten sie damit 350 Milliarden Dollar zusätzlich – das sind siebenmal so viel wie die gesamte staatliche Entwicklungshilfe weltweit. Mit solchen Zahlen wirbt die internationale Hilfsorganisation Oxfam in einer Studie für eine Neuordnung des Welthandels – und startet heute in 18 Ländern gleichzeitig eine Kampagne zu dem Thema.

Warum jetzt? „Darauf gibt es drei Antworten“, erklärt Oxfam-Sprecher Jörn Kalinski. „Das System polarisiert zwischen extrem arm und extrem reich. Daraus wachsen Spannungen, die auch vor den Landesgrenzen nicht Halt machen. Und im Übrigen ist das internationale Handelssystem keine Naturgewalt: Wir können es ändern.“ Deshalb fordert Oxfam, dass die Industrieländer ihre Spitzenzölle auf fünf Prozent senken müssen. Dass nicht nur Rohstoffe, sondern auch arbeitsintensive Waren wie Textilien unbegrenzt in die EU und in die USA exportiert werden dürfen. Dass Exportsubventionen verboten werden, denn „in Ländern wie Haiti, Mexiko und Jamaika richten subventionierte Nahrungsimporte die lokalen Märkte zugrunde“. Die Studie soll nächste Woche auch Alfred Tacke, dem Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, übergeben werden. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) machte bereits deutlich, dass sie die Kampagne befürwortet.

Die Studie vergleicht den Gewinn aus Exportsteigerungen mit staatlicher Entwicklungshilfe. Ergebnis: Die Entwicklungsländer profitieren insgesamt 30-mal so stark von Exportwachstum wie von den Hilfsgeldern aus den Industrieländern. Doch die Theorie hat einen Haken: Ob mehr Handel zu weniger Armut führt, hängt auch von der Verteilung der Ressourcen in den Entwicklungsländern selbst ab. „Möglichst viele Menschen müssen Zugang zu Ackerland, Wasser, Infrastruktur haben“, erklärt Kevin Watkins, der Autor der Studie. „Ohne Umverteilung reduziert sich der Effekt auf die Armutsminderung um mehr als die Hälfte.“ Und Umverteilung, so Watkins, „ist eine Frage des politischen Willens der Regierungen vor Ort“.

Nicht nur. In der neoliberalen Theorie, dem gängigen Entwicklungsmodell der 80er- und 90er-Jahre, findet Umverteilung von selbst statt: Erst steigert ein Land seine Exporte und damit seine Einnahmen, Arbeitsplätze entstehen. Das Geld wird in Technik investiert, die Produktivität steigt, schließlich die Löhne. In einigen Fällen hat das funktioniert. Die Oxfam-Studie erwähnt Ostasien. In vielen lateinamerikanischen Staaten hingegen sah die Praxis so aus: Die Exporteinkünfte wurden nicht investiert, sondern im Ausland angelegt.

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