: Alles – nur kein Mittelmaß
■ Die Handballer von Bad Schwartau machen was ganz Verrücktes: Sie ziehen in die Stadt
Aus der SG VfL Bad Schwartau wird der HSV Handball, und aus Handballfans werden KundInnen. Ganz trendy gehen diese KundInnen in der kommenden Saison nicht mehr zu einem Handballspiel, sondern zu einem Event. Als Location ist die Color Line Arena vorgesehen, die modernste Multifunktionshalle Europas mit 13.800 Plätzen. Provinz goes Großstadt.
Die Finanzierung des Traums von der großen weiten Welt ist gesichert, der geplante Etat für die Saison beträgt 4,5 Millionen Euro. Mit zwei Millionen Euro sind Sponsoren beteiligt, einen Hauptsponsor konnte Olaf Knüppel, Geschäftsführer des HSV Handball, allerdings noch nicht nennen. Glaubt man Knüppel, so rennen ihm solvente Geldgeber allerdings geradezu die Bude ein – „wenn alle Maximalverträge unterschreiben, weiß ich gar nicht, wohin mit dem ganzen Geld.“
2,5 Millionen Euro sollen die Kunden bringen. Es gibt „normale“, Gold- und Platinsitzplätze. Normale Kunden zahlen zwischen neun und 32 Euro pro Spiel, PlatinkundInnen 6.000 bis 8.000 Euro für eine Dauerkarte. 150 Sitzplätze gibt es in der teuersten Kategorie, für hundert hat Knüppel nach eigener Aussage bereits AbnehmerInnen.
Durchschnittlich 6000 Kunden erwartet der Verein pro Spiel: gegen einen THW Kiel soll die Hütte voll sein, gegen nicht so attraktive Gegner wird mit 3000 bis 4000 BesucherInnen kalkuliert. Der Verein glaubt fest an das Produkt Handball, auch wenn es in Hamburg seit fast dreißig Jahren nicht mehr erstklassig betrieben wird. Handball sei nach Fußball die meistbetriebene Mannschaftssportart in Deutschland und stehe dank des erfolgreichen Auftretens der Nationalmannschaft bei der letzten Europameisterschaft auch wieder verstärkt im Interesse der Öffentlichkeit, schwärmt Knüppel.
Doch die HamburgerInnen sind bekanntermaßen anspruchsvoll: „Mit Mittelmaß können wir hier nicht landen“, ist sich Knüppel sicher. Doch „der HSV Handball versteht seine Kunden und hat als oberste Prämisse, deren Bedürfnisse sachgerecht zu befriedigen“ – in diesem Sinne stehen der „Kiddy Park“ und 6000 Restaurantplätze für Mum und Dad zur Verfügung.
Auch in sportlicher Hinsicht hat VfL Bad Schwartau, pardon HSV Handball, schon genug Mittelmaß zu bieten. Das soll anders werden. 18 Spieler stehen zukünftig auf der Gehaltsliste der Handball 2002 Vermarktungsgesellschaft mbH. Der schwedische Trainer Anders Fältnäs will in zwei, drei Jahren mit einem Weltklasseteam ganz oben mitspielen. Für die kommende Saison wird erst einmal ein Platz unter den ersten sieben angepeilt. Um dieses Ziel zu erreichen, sind der Däne Moustapha Taj, der Schwede Tomas Svensson und die beiden französischen Brüder Bertrand und Guillaume Gille neu im Kader. Mit den letzten beiden besteht allerdings noch kein Vertrag, sondern lediglich eine Absichtserklärung für den Wechsel vom französischen Club Champery. Die Ablösesummen seien verhandelt, so Knüppel, und die Verträge ratifiziert. Um Schadensersatzansprüche ihres alten Vereins zu vermeiden, haben die Brüder bisher noch nicht unterschrieben.
Und nun zur Gegenwart: Die Bad Schwartauer haben am Mittwochabend in eigener Halle mit 25:30 gegen die SG Wallau Massenheim die vierte Niederlage in Folge kassiert. Trotz der 15:14-Führung zur Pause ging das Team in der zweiten Halbzeit böse ein und befindet sich nunmehr mitten im Abstiegskampf. Für Olaf Knüppel ist die derzeitige sportliche Misere überhaupt keinen Anlass zur Sorge: „Spätestens in der Relegation haben wir eine überragende Chance auf den Klassenerhalt.“ Reichlich selbstbewusst – aber schließlich muss jeder gute Verkäufer hundertprozentig hinter seinem Produkt stehen. Silke Schlichting
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