Schön, sie kennen gelernt zu haben

Zu wenig Dokumentation, zu viel Spielfilm: Mit ihrem Film „Der Glanz von Berlin“ zeigen Judith Keil und Antje Kruska einen Ausschnitt aus den interessanten und oft traurigen Leben dreier Putzfrauen, die eher zufällig zu ihrem Beruf gekommen sind

von DETLEF KUHLBRODT

Gesellschaftliche Wertvorstellungen sind häufig widersprüchlich. Journalisten etwa gelten als zu gut bezahlte Schurken, obgleich ihr Beruf ein hohes Prestige hat. Umgekehrt verhält es sich mit Putzfrauen. Nichts Negatives ist über diesen Berufsstand zu hören, allein sein Prestige ist eher niedrig. „Wer nichts kann und wer nichts ist, wird Polizist“, pflegt der Kreuzberger Volksmund zu frotzeln; für Putzfrauen gibt es zwar keinen Vers, aber in den Köpfen der meisten gilt wohl Ähnliches.

Judith Keil und Antje Kruska haben in ihrem 90-Minuten-Dokumentarfilm „Der Glanz von Berlin“ drei Putzfrauen zwischen Mitte 40 und Ende 50 porträtiert: Delia, die als junge Frau aus Argentinien nach Europa kam, um Malerin zu werden, und seit zwölf Jahren in den Wohnungen reicher Berliner für Ordnung und Sauberkeit sorgt; Gisela Weiss, genannt „Weissi“, eine lustige Urberlinerin, die in den Nobelboutiquen der Friedrichstadtpassage für Glanz sorgt und zu Hause einen Ehemann hat, der noch entschiedener als sie die täglichen Staub- und Schmutzandeutungen in den Verzierungen des massiven Wohnzimmerschranks bekämpft, und Ingeborg, eine attraktive Frau in den besten Jahren, die neben ihren Putzjobs eine Singegruppe im Altenpflegeheim leitet und auf der Suche ist nach einem passenden Mann. Alle porträtierten Frauen sind eigen, haben interessante, oft traurige Geschichten zu erzählen und sind eher zufällig zum Putzen gekommen.

Die Mutter von Delia, die einen bezaubernd lausbübischen Gesichtsausdruck hatte und sehr sinnliche Bilder malte, starb nicht lange nachdem ihre Tochter Argentinien verließ. Ingeborg hat drei gescheiterte Ehen hinter sich. Gisela, die zuvor in einer Fleischfabrik Därme „gemetert“ hat, wirkt am bodenständigsten und möchte so lange noch weiterputzen, wie es irgend geht.

Man sieht viele interessante Wohnungen im Film, bewundert – wie bei den meisten Berufen – die Könnerschaft der Berufsausübung, hofft mit den Heldinnen, wenn die Heldinnen hoffen, und lächelt über den Nudisten am Telefon, der nach einer „toleranten“ Haushaltshilfe sucht. Gleichzeitig – nun ja – ärgert man sich ein bisschen, denn allzu sehr folgt der Film einer für Fernsehdokumentationen typischen Dramaturgie, bei der es gleichgültig ist, ob Berliner Polizisten, Müllmänner, Prostituierte, Nichtstuer oder Putzfrauen porträtiert werden.

Im Vorspann gibt es dann immer die durchschnittlich drei bis fünf HeldInnen im verträumten Dämmerungslicht, an prominenten Orten (Marx-Engels-Denkmal usw.), dann geht es eine Weile ins Allgemeine, um dann wieder ins Besondere zurückzukehren, wobei immer darauf geachtet wird, dass die einzelnen Gesprächspassagen ja nicht zu lang geraten, dass unterhaltsame Szenenwechsel und Spannungsbögen drin sind. Artig erfüllten die Filmerinnen das Format. Das führte logischerweise zu guten Kritiken.

Aber trotzdem: Zu oft sind Passagen inszeniert, als wär's ein Spielfilm. Wenn ein schüchtern sympathischer Mann etwa nach allerlei Kennenlernen, Ausgehen, Hin und Her die singende Putzfrau Ingeborg in seine rührende Junggesellenwohnung bittet und ihr seine Liebe ein bisschen gesteht, wünscht man sich, dass ein Galgenmikrofon ins Bild ragt oder dass jemand sagt: „Cut“. Wenn Delia vom Tod ihrer Mutter erzählt, weint, und dann ab zur nächsten Szene, denkt man Ausbeutung.

Dass Putzen möglicherweise auch häufig furchtbar langweilig ist (wie die meisten Berufe), interessiert die Regisseurinnen genauso wenig wie der Stundenlohn, den die Putzfrauen bekommen. Kommt vermutlich daher, dass sie in Familien mit Putzfrauen aufwuchsen. Viel besser als der stromlinienförmige „Glanz“ waren da etwa die beiden Dokumentarfilme, die Gerd Kroske über Müllmänner in Leipzig gedreht hat. Dennoch ist es schön, Delia, Gisela und Ingeborg kennen gelernt zu haben.

Im Broadway A, Hackesche Höfe 3, International, Kant 5 und Yorck