: Aus dem Slum an die Spitze der Macht
Mit Benedita da Silva wird erstmals eine schwarze Gouverneurin den Bundesstaat Rio de Janeiro regieren
Seit dem vergangenem Samstag wird Rio de Janeiro von einer Frau regiert. Allein diese Tatsache wäre bemerkenswert genug. Doch anders als ihre wenigen Kolleginnen an den Schalthebeln der Macht stammt die 60-jährige Benedita da Silva nicht aus der exklusiven traditionellen Führungsschicht des Landes, sondern aus den Slums der Stadt am Zuckerhut. Und – sie ist schwarz.
Das Leben der Benedita da Silva lässt sich in zwei große Abschnitte aufteilen – ihre Kindheit und Jugend in ärmsten Verhältnissen und ihre politische Karriere, die im Jahre 1982 begann. Geboren wurde sie als eines von 15 Kindern einer Putzfrau und einer Bauarbeiters. Bereits mit sieben Jahren verkaufte sie Zitronen und Erdnüsse auf der Straße. Mit 16 heiratete sie zum ersten Mal. Zwei ihrer vier Kinder aus dieser Ehe starben kurz nach der Geburt. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie sich zu jener Zeit als Hausangestellte.
Als Erwachsene engagierte sie sich bei der Selbstverwaltung ihres Armenviertels in der Nähe der Copacabana und in der Frauenabteilung eines Favela-Dachverbandes in Rio. Zugleich machte sie einen Universitätsabschluss als Sozialpädagogin. 1982 zog sie unter dem Motto „Frau, Schwarze und Slumbewohnerin“ als Abgeordnete der Arbeiterpartei PT in das Stadtparlament von Rio ein.
Vier Jahre später gelang ihr der Sprung in das Repräsentantenhaus von Brasília, und 1994 wurde sie als erste Schwarze zur Senatorin gewählt. Aber es gab auch Rückschläge: Die Bürgermeisterwahl von Rio verlor sie 1992, nachdem bekannt geworden war, dass sie zwei ihrer Söhne unter irregulären Bedingungen als Mitarbeiter in ihrem Parlamentsbüro verpflichtet hatte.
1998 wurde sie Vizegouverneurin des Bundesstaates Rio de Janeiro. Seit ihrem 26. Lebensjahr ist Benedita da Silva bekennende Evangelikale, ebenso wie ihr Vorgänger im Gouverneursamt Anthony Garotinho, der nun als Präsidentschaftskandidat für die kleine Sozialistische Parei Brasiliens (PSB) antritt.
Ihre Antrittsrede am vergangenen Samstag schloss sie mit einem Gesang zu Ehren Jehovas. Anschließend rief sie die Bewohner Rios zu einem „Fastentag der Meditation“ auf. Wenn auch mit einer anderen Stoßrichtung als der Populist Garotinho steht „Bené“ für jene Verquickung von Religion und Politik, die in Brasilien Hochkonjunktur hat.
Benedita da Silva hat keine leichte Aufgabe vor sich: Sie beschließt zunächst die reguläre Amtsperiode bis zum Ende des Jahres. Bis Oktober muss sie die Voraussetzungen für einen PT-Wahlsieg in Rio schaffen, was durch die prekäre Haushaltslage und die Zerstrittenheit ihrer eigenen Partei erschwert wird. Außerdem ist die 1998 siegreiche Mitte-links-Koalition auf Landesebene schon längst zerbrochen. Die neue Gouverneurin möchte den rund 1.500 Straßenkindern der Stadt Anreize für den Schulbesuch zu geben. In den Favelas werden das Kultur- und Sportangebot ausgebaut.
Vor allem aber erwarten die BewohnerInnen Rios greifbare Erfolge im Kampf gegen die ausufernde Kriminalität. Nicht von ungefähr bekam Benedita da Silva, die in der Politik das „andere Brasilien“ symbolisiert, von ihrem prominenten Parteifreund Luiz Inácio „Lula“ da Silva einen guten Rat mit auf den Weg: In „Augenblicken der Not“, so Lula, solle sich Bené ein Beispiel an der Ausdauer Nelson Mandelas nehmen. GERHARD DILGER
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