: Das Ende der Offenheit
Die Party ist vorbei, und die Gazetten trauern ihren Lieblingen hinterher. Zurück bleibt die Frage: Was darf ein Botschafter? Und was bedeutet die Heimhohlung des Schweizer Diplomaten Thomas Borer-Fielding für die deutsche Hauptstadt
Von ADRIENNE WOLTERSDORF
Der schöne Schein der heiteren Party-Diplomatie ist getrübt. Das Schweizer Botschafterpaar Shawne und Thomas Borer müssen bis Ende April vorzeitig ihre Residenz räumen und einem unauffälligeren Nachfolger Platz machen. Die Borers, so das Fazit, haben mit den Medien gespielt, und dabei zu hoch gepokert. Nun ist die Party vorbei, und zurück bleibt die Frage: Was darf ein Botschafter? Zum Heimholung in die provinzielle Zentrale Bern mag die angebliche Sex-Affäre mit einer Berlinerin nur der Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlaufen brachte. Denn immer wieder war das Ehepaar im den staatstragenden Kreisen angeeckt. Mal mit Shawnes zu großen Dekolletees, mal mit ihren frechen Fotos, mal mit einem halb scherzhaften Outing eines vermeintlich schwulen Rock-Sängers. Doch die Berliner Gazetten waren begeistert. Manch eine attestierte den Borers, den Staub aus den Schweizer Gardinen geschüttelt zu haben. Mit dem spaßbetonten Paar verlor die Alpenrepublik ihr dröges Image, ein Land von Banktresoren und Uhrenmachern zu sein.
Doch aus dem diplomatischen Corps der Hauptstadt dringt Schadenfreude. Denn der unkonventionelle Schweizer, so meinen manche, sei am Ende über das gestürzt, was er so lang erfolgreich verfochten hatte: die „Öffentliche Diplomatie“.
Thomas Borer hat für viele Geschmäcker eindeutig Grenzen überschritten. Dabei war er eigentlich ein Vorreiter seiner Branche. Denn für die eidgenössischen Diplomaten war er der Schrittmacher der „public diplomacy“. Die setzt nicht mehr auf geheime Hinterzimmer-Gespräche sondern auf ein offenes Haus. Insgeheim wurde der Borer‘sche Stil sogar von anderen Kollegen imitiert. Offenbar war mit dem Wechsel von Bonn nach Berlin ein Mentalitätswechsel im Quartier Diplomatique einhergegangen. Berlin bedeutete Offenheit und den Eintritt in die Ära der Mediendiplomatie. Schon die neuen Botschaftsbauten sind mit ihren weiten Entreés und vielen kulturellen Veranstaltungen zu Schaufenstern ihrer Staaten geworden. Diplomatie ist im Zeitalter der Medien und des Konferenz-Tourismus eigentlich überflüssig geworden. Diplomatie muss nach einem neuen Profil suchen, was liegt näher als im Borer‘schen Sinne originelle Werbung fürs eigene Land zu machen. Die Architektur, die schon so konzipiert wurde, dass sie Offenheit suggeriert, ist, so mag man denken, ihren Residenten um einiges voraus.
Die Ambivalenz der Hauptstädter, darüber, was von den beiden schillernden Darlings des Berliner Boulevards zu halten sei, bleibt groß. Doch niemand wollte bestreiten, dass Berlin seinen bekanntesten Diplomaten verliert. Am gestrigen Freitag titelte die „Bild“, Shawne, 32, habe wegen des öffentlichen Rummels um die angebliche Affäre ihres Mannes, ihr Baby verloren. Ein bitteres Ende eines fröhlich-charmanten Auftritts in der neuen Berliner Republik. Und die Schweiz? Auch sie diskutiert ihr eigenes Selbstverständnis. Denn Thomas Borer unterminierte immer wieder das liebgewonnene Vorurteil, die Schweizer seien ein spießiges Volk.
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