Das Prinzip Quasselstrippe

Auch wenn die besten Unis gern die besten Studenten hätten – leicht ist das in Deutschland nicht. Die Freie Universität in Berlin versucht es trotzdem. In Auswahlgesprächen können sich „die Besten der Mittelmäßigen“ profilieren

Wer einen trendy BWL-Studienplatz in Berlin ergattern will, muss sich auf einiges gefasst machen: Die Freie Universität (FU) ist überlaufen wie ein Shoppingcenter beim Ausverkauf. „Wir suchen uns die Besten von den Mittelmäßigen aus“, berichtet Jörg Sydow. Er ist Professor für Allgemeine BWL an der Wirtschaftsfakultät, wo derzeit neun Bewerber auf einen Studienplatz wollen.

Zunächst regelt ja die Zentrale Studienplatzvergabe (ZVS) in Dortmund, wer in der Hauptstadt landet. Aber aus den Bewerbern am unteren Ende der Skala können die Unis aussortieren. Die FU probt das seit drei Semestern in BWL und nun auch bei VWL.

„Die Studenten sind aufgeregt“, berichtet Sydow von den Gesprächen, „es geht schon um einiges.“ Für knapp 30 Minuten muss sich ein zukünftiger Wirtschaftler das erste Mal richtig gut verkaufen. Gefragt sind Motivation, „die Vorstellung, was relevante BWL-Themen sind“. Sprachen und Auslandserfahrung nützen wie auch „Selbstdarstellung, gut argumentieren können“, sagt Sydow. Einen Treffer landet Berufserfahrung: Damit erfasst die Auswahl auch Leute, die trotz schlechtem Abiturdurchschnitt schon etwas Kaufmännisches gelernt haben und auch an der Uni die Ärmel hochkrempeln.

„Der Aufwand ist für die wenigen Studenten recht hoch“, sagt Sydow. Ziel sei aber, an motivierte und leistungsfähige Neueinsteiger zu kommen. Und die herauszufiltern, die nach Berlin als Partystadt drängen. Denn die FU hat das BWL-Grundstudium auf rationelle drei Semester zurecht gestutzt – da sollen Studis nicht trödeln oder einfach abbrechen.

Die ZVS agiert nach alter Schule: Seit 1973 berücksichtigt sie Abitur, Wartezeit und vieleicht den bisherigen Wohnort. Kritik dafür hagelt es schon eine Weile: Die gute Abinote sage noch nichts über Leidenschaften aus. Die aber suchen Top-Hochschulen in München, Stuttgart, Berlin: Leute, die genau wissen, wohin sie wollen. Ob handverlesene BWLer wirklich dazu gehören, hat die FU erst ab Herbst im Überblick – anhand von „harten Daten“, Scheinen und Klausuren.

Aus den bundesweit noch immer ungeliebten ostdeutschen Klein-Unis kommen ernüchternde Töne: „Wir machen das seit zwei Jahren in der Medizin“, sagt Studienberaterin Anja Klütsch von der Universität Rostock. Die Leistung der Auswahlstudenten sei „auch nicht anders“. Für andere Fächer würde man diesen Aufwand sowieso nie betreiben.

Nun kommen in Rostock genau 1,1 Bewerber auf einen BWL-Platz. Aber was hat es wirklich auf sich mit dem Glauben an die Auswahlgespräche? „Das kommt sicher auch aus dem Vergleich mit Amerika und England“, sagt Bernhard Scheer, Sprecher der bekrittelten ZVS. „Die Elite in angelsächsischen Ländern hat große Unterschiede bei den schulischen Voraussetzungen.“ Hier aber könne man sich auf das Niveau der Abi-Note verlassen. „Bei aller Kritik am deutschen Abitur“ sei sie ein „hervorragender Prognosefaktor“.

Die Forderungen der Hochschulen nach Eigenauswahl ist alt. Seit zwei Jahren erlaubt das nun die „Experimentierklausel“ im Hochschulgesetz, 2002 steigt die Quote sogar von 20 auf 24 Prozent. Aber die meisten Unis entschieden sich weiter für die ZVS, sagt Scheer. Das sei der „Unterschied zwischen Praxis und Hochschulpolitik“.

An der FU wird widersprochen: „Auszuwählen lohnt sich für alle“, sagt Jörg Sydow. Das System der ZVS sei uralt, bei Überfluss würden die Unis eben wählerisch. Und immerhin habe etwa jeder zweite Bewerber „gute Chancen“.

MARGRET STEFFEN