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„Sie müssen es ja nicht Musik nennen“

■ „Ein Fest für John Cage“: Vortrag in der Kunsthalle, Symposium an der Hochschule für Künste und eine Party mit Kunst und Kulinarischem: Bremen feiert den 10. Todestag des genial sperrigen Klangorganisatoren John Cage

Keine Stadt in der Republik feierte so umfassend den zehnten Todestag von John Cage, der 1961 zum ersten Mal in Bremen war. Gleich zwei Festivals größeren Ausmaßes ließen die kulturpolitische Peinlichkeit des Schließens von Radio Bremen mit dem gleichzeitigen Verschwinden der Festivals „Pro Musica Nova“ und „Pro Musica Antiqua“ zwar nicht vergessen, machten sie aber in diesen Tagen ein wenig erträglicher.

Nun also Festival Nr. 2, das wieder so aspektreich und lustvoll gestaltet war, dass man noch immer nicht auf die Idee kam, es könne jetzt auch mal reichen mit diesem Cage. Denn Cage, den sein Kompositionslehrer Arnold Schönberg einen genialen Erfinder, nicht aber einen Komponisten nannte, provoziert Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Haltung, erschöpft sich niemals in der Rezeption von Werken und/oder in ästhetischen Theorien. In diesem Sinne war gleich die ers-te Veranstaltung konzipiert, die Cages Text „Lecture on nothing“ (gelesen von Renato Grünig) aus dem Jahr 1950 in den Mittelpunkt stellte. Die Organisatoren, der Kunstwissenschaftler und neue Rektor der Hochschule Peter Rautmann und der Musikwissenschaftler Nicolas Schalz zeigten in der gut besuchten Kunsthalle Musik und Bilder des Schweigens, der Stille.

Rappelvoll wurde es dann beim zweitägigen Kongress, der zwölf Vorträge präsentierte. Dass das nicht ermüdete, lag an der ungemein interessanten Zusammensetzung von Musikwissenschaftlern, Interpreten, Komponisten, bildenden Künstlern und Kunsthistorikern. So arbeitete Peter Becker aus Hannover präzise an der philosophischen Aktualität Cages, dessen Werk die „Zerreißprobe für den Musikbegriff im 20. Jahrhundert überhaupt“ darstelle: Cages gewaltige Lebensarbeit suche nach dem Loslassen von Komponist und Hörer, nach der Bedeutung des Einzelklanges, der nicht in einen Zusammenhang oder gar Sinn gepresst wird. Und: „Die Stille in der Musik ist nicht nichts, sondern sämtliche Töne außerhalb der Musik“.

Die Komponistin Charlotte Seither stützte ihre sehr spannenden, weil rigoros subjektiven Ausführungen auf den Satz des konfuzianischen Philosophen Laotse: „Erst die Leere zwischen den Speichen macht das Rad brauchbar.“ Cage, den Seither als unübersehbar für neue Möglichkeiten des Komponierens ansieht, provoziert in Seither das Verlangen, eine Musik kennen zu lernen oder gar zu schreiben, die beide Prinzipien – das der dialektischen Arbeit von Beethoven und das der Begriffs- und Absichtslosigkeit von Cage – miteinander vereint. „Sie müssen es ja nicht Musik nennen“, hatte Cage seinen Kritikern gesagt, „nennen wir es Klangorganisation.“

Der bildende Künstler Knud Eckstein aus Berlin erläuterte „ephemere Architekturen der Strasse und der Landschaft“: Kartonhäuser von Obdachlosen, Farbe, Plastik, Müll und dergleichen mehr. „Pures Leben drückt sich in Struktur aus“, hatte Cage gesagt.

Was Cage für Komponisten bedeutet, diese Frage interessierte den Musikwissenschaftler Martin Erdmann. Er verschickte Fragebögen und fand heraus, dass Cage auf alle eine ungeheure Auswirkung hatte und hat, vom „Korrektiv aus der Ferne“ (Seither) bis zum „Reibeisen“ (Steffen Schleiermacher).

Die Musikwissenschaftlerin Sabine Sanio kommentierte den von Cage zugunsten des Prozesses abgesetzten Werkbegriff und das neue Materialverständnis bei Cage: „Der Klang ist die Seele eines Dinges.“ Für Cage ist die Form da, um das Material zu zeigen, nicht umgekehrt. Die letzte Konsequenz von einem solchen Denken ist: „Ich habe keine Form, ich brauche sie nicht.“ (Cage)

Der Komponist Johannes Schöllhorn beschäftige sich noch einmal mit Cages berühmtestem, aber auch radikalstem Stück: 4' 33'' (1952). Vier Minuten 33 Sekunden wird geschwiegen: ein Pianist, ein Orchester, eine Sängerin, was auch immer. Was passiert, ist das, was wir in und um uns hören: „Mit 4' 33'' blicken wir in unser eigenes Spiegelbild.“ Der Pianist Tim Ovens präsentierte die Vielfalt der Flügelpräparationen – Schrauben, Radiergummis, Papier, Glas – für die „Sonatas and Interludes“, die Musikpädagogin Gertrud Meyer-Denkmann erzählte hinreißende persönliche Begegnungsgeschichten mit dem stets freundlichen Cage und die Musikwissenschaftlerin Bärbel Siefert aus Hannover befasste sich mit einer Partitur nach Zeichnungen des Transzendentalisten David Thoreau, einem der wichtigsten Anreger für John Cage: „Die beste Regierung ist keine Regierung.“ (Thoreau).

Außerordentlich anregend dann die Ausführungen des Kunsthistorikers Michael Glasmeier, der in Renaissance- und Barockkunst der Geschichte des Geräuschs nachging. Er zeigte, wie „laut“ ein Bild von Breughel sein kann, wie ein Gewitter bei Vivaldi gezeichnet wird.

Dass die Kunst von Cage „keine Kunst ist, sondern eine Erfahrung“ (der Pianist Bernhard Wambach), dass Cage nicht Hörer, sondern Kommunikation zwischen Menschen über gemeinsame ästhetische Erfahrungen herstellen will, wurde dann von allen Fachbereichen überdimensional und explosionsartig beim „Fest für John Cage“ in allen Räumen, Fluren und Fens-ternischen der Hochschule umgesetzt: Konzerte, Skulpturen, Objekte, Aktionen und Essen gingen eine sinnliche Einheit ein. Nachhaltig fundierte die Hochschule für Künste an diesem Abend ihren Ruf als einzige interdisziplinäre Kunsthochschule und erreichte eine nie dagewesene Ausstrahlung: Nahezu 1000 Menschen wollten wissen, was es auf sich habe mit diesem Cage, dessen gesellschaftliche Wirkung „nicht durch Handeln, sondern durch Haltung“ entsteht (Becker), dessen „Bescheidenheit und Lachen ich uns allen wünsche“ (Glasmeier) und ohne den „Kunst heute überhaupt nicht zu denken ist“ (Knud Eckstein).

Ute Schalz-Laurenze

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