: berliner szenen Untervermietungsstress
Sie riefen nie mehr an
Wer vorübergehend die Stadt verlässt, kann seine Wohnung untervermieten. Eine praktische Einnahmequelle. Menschen überweisen einem freiwillig Geld für Räume, die in dieser Zeit nicht bewohnen zu müssen man froh ist. Die Krise Berlins begegnet einem allerdings auch auf dem Immobiliensektor. Es herrscht keine Nachfrage nach temporärem Wohnraum. Touristen hätten kein Interesse mehr an dieser Stadt, sagte die Frau von der Mitwohnzentrale: „Ein hoffnungsloses Unterfangen!“
An einem regnerischen Nachmittag riefen immerhin drei Schwesternschülerinnen aus Mönchengladbach an. Sie wollten in der Wohnung für eine Prüfung lernen. Alles klang heiter und interessant. Die Vorstellung von ernsten jungen Frauen, die in meinen Zimmern geistige Arbeit verrichteten, gefiel mir gut. Ich lief durch den Flur und versuchte, mir verschiedene Möbelkonstellationen für die drei auszudenken, und befand mich in einem Zustand angenehmer Aufregung. Es kam indes nie wieder eine Nachricht aus Mönchengladbach. Die Schwesternschülerinnen meldeten sich nicht mehr.
Nun begann es anstrengend zu werden. Ständig musste man die Wohnung sauber halten für potenzielle Bewerber, die nicht erschienen. Viele Tage war man eigentlich nur noch mit Putzen beschäftigt. Schließlich zog eine Bankangestellte ein, ein schüchternes Mädchen aus Thüringen. Ihre eigentliche Wohnung in Prenzlauer Berg wurde von einer Russin belegt, die irgendwann gekommen war und sich jetzt weigerte zu gehen. Die Bankangestellte wohnte mit einem Kollegen in meiner Wohnung. Als er mir vor kurzem die Tür öffnete, trug er ein Fan-T-Shirt von der Musikgruppe Böhse Onkelz.
KIRSTEN KÜPPERS
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