Alter Kahn auf Schlingerkurs

Ist die Oberfinanzdirektion schlicht überflüssig, wie nicht nur CDU-Haushaltsexperte Nikolas Zimmer meint? Ein Besuch bei der Behörde, die einst die Fähre zwischen Finanzamt und Landesregierung war

von JAN ROSENKRANZ

Von Konflikten gebeutelt, entscheidungsfaul und misstrauisch gegenüber Reformen – es gab bessere Könige als Friedrich Wilhelm III. Der Herrscher blickt vom düsteren Ölgemälde herab auf den runden Konferenztisch des Oberfinanzpräsidenten Ingo Trendelenburg. Der nimmt sich die Zeit, um ein anderes Bild, eines, das zurzeit etwas schief hängt, persönlich zurechtzurücken – das seiner Oberfinanzdirektion (OFD).

Von „Tu-nix-Behörde“ war in den Medien die Rede, von „reiner Versorgungsanstalt“, wo man täglich nur eine Stunde arbeite, weil es nichts zu tun gebe. Und mehrfach wurde lautstark gefordert, die OFD gleich ganz abzuschaffen. Also sitzt Ingo Trendelenburg in seinem holzgetäfelten Büro in der zweiten Etage des einst sehr edlen Cumberland-Hauses, dort, wo der Ku’damm noch ein wenig glänzt, und erzählt vom „veritablen Arbeitsblock“, den seine 745 Kollegen und er hier bewältigen.

Trendelenburg trägt das schlohweiße Haar ordentlich geföhnt und einen blauen Zweireiher mit güldenen Knöpfen, der ältere Herren mit schlohweißem Haar zu Kapitänen macht. Im nächsten Jahr geht er von Bord, und er hofft, das bisschen Sturm wird den alten Kahn kurz vor seinem Ruhestand schon nicht zum Sinken bringen. Doch offensichtlich sehen einige die OFD nicht mehr als Fähre zwischen Finanzamt und Senat, sondern eher als Traumschiff mit Pool an Deck.

Einer von denen ist Nikolas Zimmer, der haushaltspolitische Sprecher der CDU-Fraktion. Sekundiert vom Bund der Steuerzahler, hat er den Antrag gestellt, die überflüssige Mittelbehörde zu schließen. Denn nachdem die Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung zur OFD Cottbus gewandert ist, gebe es hier nur noch verwaltende Aufgaben. Für Zimmer liegt der Verdacht nahe, „dass man dafür keine Behörde mit 600 Mitarbeitern und Präsidenten nebst Fahrer und Stab braucht“. So ließen sich locker 5 Millionen Euro sparen, hat der Haushaltsexperte errechnet. Unabdingbare Aufgaben möge der Finanzsenat selbst erledigen, der eine eigene Steuerabteilung vorhält. Frei werdendes Personal könne man in die unterversorgten Finanzämter versetzen. Die dortigen Mitarbeiter hätten ohnehin eine „dezidierte Meinung“ darüber, was die OFD tatsächlich schafft – „nämlich sehr wenig“, hat Zimmer erfahren. Was man eben so unter der Hand alles erfährt über vorgesetzte Behörden, Chefzimmer und andere Oasen der Freizeit. Es gilt: Wo ich bin, ist die Enklave der Arbeit. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) will alles gern kritisch prüfen, und Trendelenburg soll ihm dazu einen Tätigkeitsbericht liefern. Bis Ende Mai muss er aufdröseln, was seine Behörde den ganzen Tag so macht.

„Also“, sagt der Oberfinanzpräsident und beginnt mit seiner Bildkorrektur am Rahmen: Es werde oft einfach vergessen, dass die OFD eine Zwitterbehörde sei, halb Land, halb Bund. Die 319 Mitarbeiter der Bundesvermögensverwaltung haben in den letzten zehn Jahren für 3,8 Milliarden Mark bundeseigene Grundstücke verkauft – also deutlich mehr getan als nichts. Im Grunde geht es um die andere Hälfte, die 426 „Dienstkräfte“ der Steuerabteilung – zuständig für die Fachaufsicht über die 23 Berliner Finanzämter. „Sie machen sich ja keine Vorstellung, welches Arbeitsvolumen hier vorhanden ist“, beklagt Trendelenburg. Und dann fädelt er ein ums andere Substantiv auf eine lange Perlenkette hübscher Verwaltungsbegriffe: Überwachung der Steuererhebung und der einheitlichen Rechtsanwendung, fachbezogene Verwaltungsanweisungen, Dienstbesprechungen mit Hauptsachgebietsleitern …

„Und das alles ist ja nur der fachbezogene Bereich“, gibt Trendelenburg zu bedenken, schließlich gebe es auch einen Serviceanteil, den die OFD zentral für alle Finanzämter erledigt – EDV und Personalwesen zum Beispiel. Umständlich kramt der Präsident einen vorläufigen Bericht für 2001 hervor, um genussvoll einige Zahlen zu verkünden: 1.500 Programme mussten wegen der Euroumstellung geändert, allein für die 435 intern zu besetzenden Stellen mussten 3.196 Bewerbungen bearbeitet werden. Kurzum, das alles könne nicht jedes Finanzamt selbst erledigen, ganz zu schweigen von Strukturfragen. „Die haben doch im Tagesgeschäft nicht die Zeit dafür.“ Trendelenburg lehnt sich in den Ledersessel und fügt etwas resigniert hinzu: „Dabei haben wir immer auf Effizienz geachtet.“

Es muss schlimm sein, wenn jemand behauptet, man arbeite nicht. Und noch schlimmer, wenn es viele glauben. Dann muss man Sprüche ertragen – von Nachbarn und Bekannten. Noch immer diskutieren die Oberfinanzler in der Kantine, noch immer wabert dieses ungute Gefühl durch die spärlich beleuchteten Gänge. Die knarzende Wendeltreppe hinauf, eine Etage höher, vorbei am Aushang, wo die Gewerkschaft gegen die Verunglimpfung der OFD-Kollegen protestiert, liegt das Büro von Regierungsrat Konrad Werpuschinski. Zurzeit macht er die Pressearbeit – vertretungsweise. Er hat die Teams von ZDF und SFB herumgeführt, hat sie zu den Kollegen gebracht, damit sie Interviews führen können. Doch sie haben nur leere Flure gefilmt, Klinken verschlossener Türen gedrückt und dann im Beitrag kundgetan: Den Laden braucht man nicht. Werpuschinski könnte noch immer sauer werden. „So nimmt man vielleicht Schweizer Botschafter aus dem Rennen, aber so wickelt man doch keine Behörde ab“, sagt er. Prüfen, sicher, das müsse man immer. Sie würden andere ja auch immerzu prüfen, jetzt sei man eben selbst dran. Er habe davor keine Angst, sagt er und wedelt mit der Hand.

Das wäre auch verfrüht. Claus Guggenberger, Sprecher des Finanzsenators, hat schon erklärt: In diesem Jahr kommt die OFD nicht mehr auf die Agenda. „Solch schwerwiegende Entscheidungen kann man nicht aus dem Handgelenk schütteln“, sagt Guggenberger. Eben. So schnell schießen die Preußen nicht.