jenni zylka über Sex & LügenKennen oder kochen lernen

Pixel-Sex? Nein, danke! Oder: Wie man heutzutage Leute für spätere An- und Auspackaktionen trifft – und wie nicht :

Man kann nur froh sein, dass die Kennenlernkultur in Deutschland stark hinter der US-amerikanischen zurückbleibt. Wenn ich mir vorstelle, ich würde als Single alle naselang zu irgendwelchen Privatessen eingeladen, bei denen mir dann ein „und das ist Stefan/Christian/Martin/Markus/Klaus“ gegenübersäße (oder je nach Altersstufe „der Thies/der Jan/der Moritz“ oder „Herr Ohlsen/Herr Schmidt/Herr von und zu Hartenstein“), von dem ich als einzige Information wüsste, dass er ebenfalls Single ist, dann würde ich, glaube ich, doch kochen lernen. „Man merkt die Absicht und ist verstimmt“, heißt es dazu in meinem Lieblingsbenimmbuch, dem „Einmaleins des guten Tons“. Außerdem erinnert diese Kuppelei mit dem Zaunpfahl an die Situationen, in denen einen die Eltern früher bei Besuchen in der Fremde mit den Worten „Da sind doch noch andere Kinder! Spiel mal mit denen!“ auf wildfremde Rotzgören ansetzten, denn Kinder sind ja alle gleich und können darum auch alle miteinander spielen.

Es muss schönere Möglichkeiten geben, An- und Auspackaktionen einzuleiten. Obwohl die heutzutage schon ein wenig rarer gesät sind. Laut Psychopseudostatistiken lernen sich die meisten Menschen „über gemeinsame Freunde“ oder „bei der Arbeit“ kennen, aber das dürfte sich bei den hohen Arbeitslosenzahlen demnächst wohl in „auf dem Arbeitsamt“ ändern. Und wer weiß, ob die Stimmung dort die günstigste ist. Wahrscheinlich muss man sich bei der Frage: „Und wo habt ihr euch kennen gelernt?“, bald eher mit Antworten wie „in der Betty-Ford-Klinik“, „beim Meditationsworkshop ‚Unconditioned Love‘ “ oder „bei der Umschulung zum Internetgrafiker“ anfreunden. Zumindest aufhorchen würde ich bei den originelleren Antworten „beim Hautarzt“ (igitt!), „auf der Baustelle“ (kernig) oder „im Tropenhaus des botanischen Gartens“ (so romantisch wie beängstigend – ist er Ornithologe? Ich hasse Ornithologen. Ornithologen wollen mit einem bestimmt fünfmal in den Orni-Film „Nomaden der Lüfte“ gehen. In ihren Badezimmern laufen auf Autorepeat eingestellte CDs mit Vogelstimmen, und, huch, jetzt komme ich richtig in Fahrt, in der ersten Nacht sagen sie Dinge wie „das geht mir jetzt zu schnell“).

In Kneipen und auf Partys wird sich natürlich noch immer tüchtig kennen gelernt. Unter Drogeneinfluss knutschen die meisten bekanntlich sofort los. Allerdings gibt mir zu denken, dass Susi und Liesel Kohlhiesel in der 1962er Verfilmung von Hanns Krälys „Kohlhiesels Töchter“ sich so schwer damit tun, obwohl sie die Töchter eines Kneipenwirts sind und somit quasi an der Quelle sitzen. Nachhaltig beeindruckt und alarmiert hat mich in diesem Zusammenhang, wie die Schwestern (beide Lilo Pulver) in der berühmten Küchenszene zweistimmig „Jedes Töpfchen find’ sein Deckelchen“ anstimmen und Susi so herzzerreißend „nur für mich gibt’s keinen Schatz“ seufzt.

Hätte sie nur einen onlinefähigen Computer gehabt! Darüber wird sich angeblich ja gefunden, was das Zeug hält. Eine meiner Single-Freundinnen hat neulich sogar bei einem richtigen Internet-Dating-Club mitgemacht, bei dem Frauen obskurerweise umsonst Mitglied werden können. Ihr flatterten in null Komma nichts jede Menge Angebote in den Posteingang. Mit einem hat sie sich – nach diversen viel versprechenden Mails – getroffen. Ein Supertyp, erzählte sie, und noch nicht einmal kleiner, übergewichtiger Programmierer. Nur habe sie sich extrem an der Vorstellung gestört, dass der Mann Geld für die Kennenlernaktion gezahlt habe. „Ich kam mir vor wie die gekaufte Braut“, sagte sie. „Dann gib es ihm doch wieder!“, schlug ich vor. Aber dafür ist sie zu arm.

Ich würde so eine auf Pixel basierende Beziehung gar nicht erst aufbauen wollen, hätte zuviel Angst, an einen der schrecklichen Menschen zu geraten, die jede Mail mit diesen bekloppten, entfernt an umgekippte Grinsegesichter erinnernden Satzzeichen spicken: : ) oder ; ). Umgehend würde ich ein bitterböses : ( zurückmailen und dann für immer schweigen. Sicher haben solche Menschen früher auch Kringel auf i-Punkte gemalt. Wahrscheinlich hatten sie sogar Monchichi-Figuren.

Also: Wie lernt der moderne Mensch den anderen modernen Menschen (oder, um mit Wilhelm Busch leutselig zu werden: „der Jemand eine Jemandin“) kennen? Gemach. Man sollte sich einfach zurücklehnen und warten. Irgendwann verklingelt sich vielleicht doch mal einer … ; (

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