piwik no script img

Angst macht Kranke schnell gesünder

Im vergangenen Jahr gab es so wenig Krankschreibungen wie nie zuvor. Weil gesunde Mitarbeiter kostengünstiger sind, investieren Unternehmen mehr in Arbeitsschutz. Die hohe Arbeitslosigkeit setzt die Beschäftigten unter Druck

BERLIN taz ■ Auch von einer ansteckenden Erkältung, Fieber oder Hustenanfällen lassen sich Beschäftigte in Deutschland nur schwer von der Arbeit abhalten. Der Krankenstand in Betrieben hat einen Tiefstand erreicht: Nach Berechnungen der Betriebskrankenkassen verbrachten die Beschäftigten im vergangenen Jahr nur 3,5 Prozent ihrer Arbeitszeit krank zu Hause. Damit gingen die Krankschreibungen im Vergleich zum Jahr 2000 (3,9 Prozent) weiter zurück. 1991 ließen sich die Beschäftigten noch doppelt solange krank schreiben.

Gewinner dieser Entwicklung sind vor allem die Unternehmen. Durchschnittlich 150 Euro kostet ein krankgeschriebener Arbeiter an einem Tag. Insgesamt mussten die Unternehmen im Jahr 2001 umgerechnet knapp 33 Milliarden Euro für Krankschreibungen ausgeben. Ist der Mitarbeiter gesund, sparen sich die Firmen Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall und die Kosten für zusätzliche Überstunden der gesunden Kollegen, sie müssen nicht umorganisieren und bekommen keine Lieferschwierigkeiten.

„Die Unternehmen haben erkannt, wie viel ihnen gesunde Mitarbeiter wert sind“, sagt Jochen Pimpertz vom Kölner Institut für Wirtschaft. Deshalb setzten die Firmen zum Beispiel weniger gefährdende Stoffe ein und verbesserten die Arbeistabläufe – auch die Zahl der Arbeitsunfälle im Betrieb hat um 6,4 Prozent auf 1,07 Millionen deutlich abgenommen. Allerdings haben sich Schutzmaßnahmen nicht überall durchgesetzt: Noch immer rangieren Atemwegserkrankungen unter den wichtigsten Gründen für berufsbedingtes Krankfeiern, meistens ausgelöst durch Arbeit mit giftigen Stoffen wie Asbest.

Entscheidend für die gesundheitliche Verfassung der Mitarbeiter ist auch das Betriebsklima. „Ein motivierter Mitarbeiter ist gesünder“, sagt Pimpertz. Nur so ließen sich eklatante Unterschiede innerhalb einer Branche erklären. So gibt es Polstereien, die nur einen Krankenstand von drei Prozent zu verzeichnen haben, andere müssen mit Ausfällen von 28 Prozent kalkulieren.

Auch die Beschäftigten selbst haben umgedacht – allerdings ohne auf ihren Körper Rücksicht zu nehmen. In der momentan angespannten wirtschaftlichen Situation sei die Angst vor Arbeitslosigkeit ein „psychlogisches Grundrauschen“, sagt Karl Kuhn von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Schon im Grundschulalter werde ein Job als das höchste Glück gepriesen, das nicht aufs Spiel gesetzt werden dürfe. Um sich dem Arbeitgeber als leistungsfähig und zuverlässig zu präsentieren, arbeiten viele Menschen auch mit fiebrigem Kopf und glasigen Augen weiter.

Angesichts dieser Entwicklung warnt auch die stellvertretnde Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftbundes, Ursula Engelen-Kefer, davor, die Sozialleistungen für Kranke zu kürzen und damit noch mehr Kranke auf die Arbeit zu treiben. „Vorschläge, die Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall zu verschlechtern, sind absolut fehl am Platz“, sagt Engelen-Kefer.

ANNIKA JOERES

meinung SEITE 12

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen