: Deeskalateur führt Polizei
Dieter Glietsch (SPD), bisher an der Spitze der Polizei in Nordrhein-Westfalen, schlägt Gerd Neubeck aus dem Rennen. Die Opposition schäumt. Otto Schily legte gegen dritten Kandidaten Veto ein
von PLUTONIA PLARRE
Der ranghöchste Polizist von Nordrhein-Westfalen, Dieter Glietsch (SPD), soll neuer Polizeipräsident von Berlin werden. Darauf haben sich PDS und SPD bei der gestrigen Senatssitzung geeinigt. Die Wahl des Kandidaten durch das Abgeordnetenhaus ist für Mitte Mai vorgesehen.
Im Gegensatz zu früheren Polizeipräsidenten wird der 54-jährige Glietsch dabei aber kaum auf die Stimmen der Opposition zählen können. In seltener Einmütigkeit wollen Grüne, FDP und CDU den amtierenden Polizeipräsidenten Gerd Neubeck an der Spitze als Behörde sehen. Das Auswahlverfahren sei „aus parteipolitischen Gründen manipuliert“ worden, ist sich die Opposition einig. Auch der Bund der Deutschen Kriminalbeamten (BDK) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP), schäumen. Durch die Ernennung eines Schutzmannes zum Behördenchef sei „der Fortbestand der Berliner Kriminalpolizei in Gefahr“, meint der BDK. Die GdP sagt gar voraus, dass die Entscheidung gegen Neubeck „verheerende Auswirkungen für die Behörde“ haben werde. Glietsch sei eine reine Parteibuch-Entscheidung. „Der wird in eine schweren Stand haben“, wird in Polizeikreisen orakelt.
Derlei Töne sind dem Kandidaten nicht verborgen geblieben. „Das klingt sehr ungewöhnlich. Ich glaube aber nicht, dass man das ernst nehmen muss“, sagte Glietsch, als er gestern von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) der Presse vorgestellt wurde. Seine Zusage begründete er damit, für ihn gebe es „keine anspruchsvollere und reizvollere Aufgabe“, als die Hauptstadt-Polizei zu leiten. Dem ersten Eindruck nach ist Glietsch ein ruhiger, bescheiden wirkender Mensch, der so aussieht wie der nette Onkel von nebenan. In Berliner Polizeikreisen kennt zwar kaum jemand seinen Namen. Aus NRW wird ihm aber viel Lob zuteil. „Er ist kein Scharfmacher, sondern setzt auf Dialog und Deeskalation“, sagt der langjährige innenpolitische Sprecher der Grünen im Düsseldorfer Landtag, Roland Appel. Im Unterschied zu dem früheren Bonner Polizeipräsidenten Michael Kniesel, der sich ebenfalls um den Posten in Berlin beworben hatte, gehe Glietsch aber bei riskanten Einsätzen auf Nummer sicher. „Im Klartext: Drei Straßenzüge weiter hat er drei Züge postiert.“ Ein ehemaliger Untergebener preist Glietschs analytisches Vermögen, „scharf wie ein Seziermesser“. Er sei zwar ein trockener Typ, im Gegensatz zu dem früheren Berliner Polizeichef Hagen Saberschinsky aber durchaus kommunikationsfähig.
Zu dem Vorwurf der Manipulation sagte Körting gestern, Glietschs SPD-Parteibuch habe nicht den Ausschlag gegeben. Von ursprünglich elf Bewerbern seien sechs zu Vorstellungsgesprächen eingeladen und zum Schluss mit Neubeck und Glietsch zwei gleichermaßen geeignete Kandidaten übrig geblieben. „Ich habe mich für Glietsch entschieden, weil er noch einen Tick besser ist“, so Körting. Entscheidend sei weniger das persönliche Bewerbungsgespräch gewesen, sondern die Dienstzeugnisse. Er spielte damit auf Presseberichte an, wonach Neubeck bei den Bewerbungsgesprächen mit 4,5 die beste Note aller Kandidaten erhalten haben soll.
Nach Informationen der taz spielten bei der Auswahl aber noch ganz andere Faktoren eine Rolle. Einer Senatsvorlage von Mitte März zufolge wollten SPD und PDS dem Abgeordnetenhaus ursprünglich sowohl Michael Kniesel als auch Neubeck als Kandidaten vorschlagen. Das Kalkül war, dass Kniesel bei der Wahl den Zuschlag erhalte. Auf Drängen von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der vor seinem Amtsitz keinen unbequemen Geist wie Kniesel haben wollte, wurde die Vorlage jedoch zurückgezogen. Schily hatte zudem einen Abteilungsleiter in die Auswahlkommission entsandt. Der als konservativ geltende frühere Oberstaatsanwalt Neubeck – 2000 von der CDU an die Spree geholt – wiederum scheiterte am Veto von SPD-Parteichef Peter Strieder und dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit. In der Öffentlichkeit hatte Schily mehrfach mit Neubeck – beide sind Franken – als Präsidenten kokettiert.
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