: Auf den hinteren Plätzen
Kritische Dokumentationen haben im öffentlich-rechtlichen Fernsehen einen schweren Stand. Auch Fernsehpreise werden lieber an locker-leichte statt an gesellschaftspolitische Inhalte vergeben
von GITTA DÜPERTHAL
Wenn Guido Knopp sich am Zweiten Weltkrieg abarbeitet, dann herrscht im ZDF eitel Freude. Wenn Kanonen in Archivbildern ballern, Flüchtlinge übers Elend berichten, als wäre es eben gerade erst passiert, so wie kürzlich in der neunteiligen Doku-Serie „Der Jahrhundertkrieg“ – dann stimmt die Quote. Der Stoff ist garantiert analysefrei, zackige Kurzstatements sorgen für jene Angstlust, die kurzen Nervenkitzel verschafft, und in keinem Fall wird man auch nur einen Anflug von Nachdenklichkeit aufkommen lassen.
Marita Eilrich, Medienexpertin und Vertreterin des DGB in der Landesmedienanstalt Hessen, hält die zunehmende „Hysterisierung des Fernsehens“ für gefährlich. „Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Verfassungsauftrag nicht erfüllt, seriöses Informationsangebot zu bieten, sondern wie kommerzielle Sender stets auf Quoten schielt, liefert er jenen Kräften Argumente, die ihn ohnehin demontieren wollen.“ Eilrich sieht vor allem in den immer späteren Sendezeiten ein Problem: Ein Durchschnittszuschauer mit normalen Arbeitszeiten habe somit fast keine Gelegenheit mehr, sich kritisch über gesellschaftliche Entwicklungen zu informieren. Genau das ist aber der gesellschaftspolitische Auftrag, den es zu erfüllen gilt.
In einem schleichenden Prozess werden Dokumentationen im Programm zunehmend weiter nach hinten gedrängt. Erst zu Beginn des Jahres hat sich das ZDF wieder – zugunsten von Johannes B. Kerners unverfänglichem Plauderstündchen – von dem regelmäßigen Dienstagstermin für die politische Dokumentation (22.45 Uhr) verabschiedet. Im Zweiten wird dazu ausführlich geschwiegen, Nestbeschmutzer will schließlich keiner sein. „Auch die Fernsehräte interessiert dies nur am Rande“, kritisiert Eilrich. Sie diskutieren breit, welche Parteizugehörigkeit der neue Intendant des ZDF besitzen solle, statt sich damit zu befassen, wer die medienpolitische Aufgabe, den öffentlich-rechtlichen Auftrag unabhängiger und kritischer Berichterstattung zu erfüllen, am besten gewährleisten kann.
Bereits 1997 wetterten bei dem Kongress „Soviel Freiheit muss sein“ ehemalige Chefredakteure und Intendanten über zunehmende Entpolitisierung. Wilhelm von Sternburg, Exchefredakteur des Hessen-Fernsehens, konstatierte, „gesellschaftliche Totenruhe“ senke sich über die Republik. Das Fernsehen wirke auf die Massen wie eine Beruhigungsdroge, „etwa wenn Thomas Gottschalk und Harald Schmidt den Weltenlauf deuten“. Mittlerweile ist die Kritik jedoch weitgehend verstummt.
Nur direkt Betroffene, nämlich freie Filmemacher, äußern ihre Unzufriedenheit. Die Sender mischten sich zunehmend ein, kritische Kommentare würden abgebügelt. Gestern wurde bekannt, dass die ag dok, ein Zusammenschluss von 700 deutschen Dokumentarfilmern, die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten verklagen will. Hintergrund seien die allgemeinen Geschäftsbedingungen von ARD und ZDF zum Nachteil der Autoren. Bislang wurde Kritik an den Sendern oft nur hinter vorgehaltener Hand geäußert. Denn wer sich öffentlich resistent zeigt, gefährdet Folgeaufträge und damit seine berufliche Existenz. Sind die Zeiten vorbei, als TV-Verantwortliche noch versuchten, von der Wichtigkeit gesellschaftspolitischer Inhalte zu überzeugen? Viele ehemals engagierte Fernsehmacher sind mittlerweile kaltgestellt und in die innere Emigration gegangen. Es herrsche ein Klima der Einschüchterung. Das Gros der Filmautoren ist vogelfrei, und durch immer weniger Sendeplätze vergrößert sich natürlich die Konkurrenz.
Heiner Gatzemeier, Leiter der Redaktion Dokumentation im ZDF, reagiert auf solche Hinweise ausweichend: Dokumentionen mit „sperrigen Themen“ wie etwa Antiglobalisierung nehme man immerhin mit ins Programm – stimmt, allerdings selten vor 23 Uhr. „Nur 300.000 haben zugeschaut“, sagt Gatzemeier und zeigt damit, wieder einmal, wie sehr auch die Öffentlich-Rechtlichen auf die Quote schielen.
Doch weshalb verstummt eigentlich die öffentliche Kritik? Selbst bei der Nominierung des Grimme-Preises im Bereich Dokumentation sind Fernsehkritiker, Medienwissenschaftler und Volkshochschulleiter davon abgekommen, politisch kritischen Fernsehautoren den Rücken zu stärken. „Die Entscheider“ etwa, ein Film über die Unmenschlichkeit der Asylpraxis, und noch manch anderer kritischer Beitrag stießen hier nicht gerade auf Gegenliebe.
Dagegen standen „Sexy Feinripp“, ein zugegebenermaßen witziger Film über Unterhosen, und „Revolution im Zoo“, ein wirklich netter satirischer Tierfilm, hoch im Kurs. Mit solchen Entscheidungen sorgt selbst die Nominierungskommission des renommierten Fernsehpreises dafür, dass gesellschaftspolitische und kritische Beiträge im Programm immer mehr an Bedeutung verlieren.
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