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Berliner Senat wickelt Schülerläden ab

Kleine Ursache, große Wirkung: Die West-Ost-Anpassung des Hortschlüssels in Berlin könnte pädagogische Modellprojekte das Leben kosten. In den Schülerläden gibt es das, was nach Pisa für Kitas wie Nachmittagsbetreuung gefordert wird: Bildungsauftrag, Selbstständigkeit, Öffnung zum Kiez

von SABINE AM ORDE

Die selbstgebaute Holzgalerie in dem kleinen Laden ist voll besetzt. Zehn Kinder strecken ihre Köpfe über das Geländer. Unten setzen sich die anderen in Positur. „Nicht mit mir anfangen“, ruft einer der Knirpse auf der Galerie. Dorothee Jacobs sucht den Ton, dann legt sie mit Nina los, die Schülerladenhymne zu singen. Sie handelt vom Tatendrang und der Neugier Achtjähriger. Erzieherin und Kinder schmettern gemeinsam den Refrain.

Im Schülerladen „Schüler-Werk-Stadt“ in Berlin-Kreuzberg gibt es für jedes der 20 Kinder eine eigene Strophe im Schülerladensong. Nicht nur deshalb steht der Laden, der auf künstlerische und handwerkliche Projekte mit den Kindern setzt, im Kiez hoch im Kurs. „Wir haben immer mehr Anfragen als Plätze“, sagt Jacobs. Plätze, die jetzt bedroht sind.

Trotz aller Bildungsversprechen vor der Wahl will die rot-rote Berliner Landesregierung bei den Kindertagesstätten sparen: bei den Kitaleiterinnen, den Auszubildenen und beim so genannten Betreuungschlüssel im Hort, den Kitagruppen für Grundschulkinder. Der Senat will ihn hochsetzen. Eine Erzieherin soll künftig nicht mehr für 16, sondern für 21,5 Kinder zuständig sein. Das hört sich harmlos an. Ist es aber nicht.

Schon in großen Einrichtungen mit mehreren Hortgruppen wird es dann eng werden mit dem Personal. „Da kann man nur noch aufbewahren, sonst nichts“, befürchtet Ursula Degner-Badawi, die eine evangelische Kita leitet. Das sei alles andere als die Aufwertung, die nach der Pisa-Studie gefordert wurde.

Noch schlimmer aber könnte es für kleine Einrichtungen wie „Schüler-Werk-Stadt“ kommen, Läden mit meist knapp 20 Kindern und 2 ErzieherInnen. Das sind Projekte, die sich häufig durch ein klares pädagogisches Profil und stets durch großen Einsatz der Eltern auszeichnen. Also genau das, was nach Pisa von Kindertagesstätten gefordert wurde: Bildungsauftrag, Öffnung in die Gesellschaft, ehrenamtliches Engagement. „Viele der Schülerläden können diese Kürzung nicht verkraften, sie stehen dann vor dem Aus“, befürchtet Roland Kern vom Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden (Daks). 150 selbst verwaltete Schülerläden gibt es in Berlin, die meisten sind Nachfolger der in den 70ern und 80ern gegründeten Kinderläden.

Die „Schüler-Werk-Stadt“ liegt in einer Gegend, die man gemeinhin sozialen Brennpunkt nennt – und aus der sich die deutschen Mittelschicht zunehmend verzieht. Diesen Kiez erkunden die Kinder zusammen mit ihren ErzieherInnen. In den vergangenen zwei Jahren haben sie als Projekt Hinterhöfe fotografiert und daraus eine bundesweit gezeigte Ausstellung gemacht, sie haben einen Mädchen- und einen Jungenkrimi gedreht. „Den Kindern ihre Stadt erklären,“ sagt Jacobs, „das ist unsere Spezialität.“ Dafür machen die beiden ErzieherInnen immer wieder unbezahlte Überstunden. Dass sie Freunde aus ihrem Umfeld zur Unterstüzung anheuern, ist eine Selbstverständlichkeit. Die „Schüler-Werk-Stadt“ bietet das, was Kindern in Stadtteilen wie Kreuzberg fehlt – und was sich die auch deutsche Mittelschichtseltern wünschen.

Das künstlerische und handwerkliche Konzept sieht man der Ladenwohnung mit der breiten Fensterfront gleich an. Im „großen Raum“, wo jeden Montag das Kinderplenum tagt, gibt es Nischen mit einer sechs Meter langen Malwand. Hier steht eine Rätselkommode und es gibt einen „Denk- und Lernstall“ – ein Rückzugsort, wo Stören strengstens verboten ist. Gleich dahinter liegt die Holzwerkstatt.

Nicht nur der Laden, sondern auch das Konzept, das auf Erziehung zur Selbstständigkeit setzt, ist nach neuesten Erkenntnissen topmodern. Und es kommt an – trotz regelmäßiger Koch- und Putzdienste und einem zusätzlichen „freiwilligen Beitrag“ von 20 bis 40 Euro pro Monat zusätzlich zur Kitagebühr. Nur durch diese zusätzlichen Mittel können zwei ErzieherInnen bezahlt werden. „Wenn hier jetzt gekürzt wird“, sagt Jacobs, „dann geht es wirklich ans Eingemachte“: Eine Stelle fiele weg. Mehr Kinder kann der Laden nicht aufnehmen, dazu ist er zu klein. Mit weniger Personal aber ist das Konzept der „Schüler-Werk-Stadt“ nicht umsetzbar. Jacobs: „Solche Konzepte braucht man aber, wenn man eine fitte Jugend will, eine, die weiß, was sie mit ihrer Zeit anfangen soll.“

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