: Kleinkinder werden immer kränker
Kleine Körper nehmen Umweltgifte besonders stark auf. Blei wird fünfmal so stark absorbiert wie bei Erwachsenen. Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation stieg die Zahl der Asthmatiker und Allergiker in den letzten 30 Jahren um ein Drittel
von ANNIKA JOERES
Kleine Körper absorbieren Gifte besonders stark. Nach einer gestern veröffentlichten Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der europäischen Umweltagentur sind Kinder die Hauptopfer der steigenden Umweltverschmutzung. Das Umfeld, in dem Kinder spielen, lernen und arbeiten, ist zunehmend vergiftet: Über 40 Prozent der auf Umweltfaktoren zurückzuführenden Krankheiten befallen Kinder unter fünf Jahren.
Während Krankheiten bei Erwachsenen in den letzten zwanzig Jahren insgesamt zurückgegangen sind, werden Kinder heute häufiger krank als früher. Die Zahl der Kinder, die unter Allergien, Asthma und Neurodermitis leiden, ist seit den 70er-Jahren um ein Drittel gestiegen. Der Körper eines Kindes reagiert sensibler auf zunehmende Luft- und Bodenverschmutzung, Chemikalien und Gifte als ein ausgewachsener. Weil ein Kind weniger Gifte ausscheidet als ein Erwachsener, nimmt ein Kinderkörper 50 Prozent des im Essen enthaltenen Bleis auf, ein erwachsener nur 10 Prozent. Außerdem atmen, trinken und essen Kinder im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht mehr als Erwachsene und nehmen schon allein dadurch mehr giftige Substanzen auf.
Doch auch bei Kindern gibt es Unterschiede: Kinder, die in stark befahrenen Gegenden wohnen, leiden doppelt so häufig an Atemwegserkrankungen wie ihre Altersgenossen in grüner Umgebung. Der ständige Lärm führt außerdem zu Leseschwächen und mangelnder Konzentrationsfähigkeit. Alarmierend sind auch die Unfallstatistiken: Drei von zehn Todesfällen bei Kindern werden im Straßenverkehr verursacht, in Nordeuropa sind Autounfälle sogar die häufigste Todesursache.
„Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, sondern Organismen in der Entwicklung“, sagt Erik Petersen vom Ökologischen Ärztebund. „Die Umwelt ist chemieverseucht und lebensfeindlich“, so Petersen. Der ökologische Ärztebund, eine Dachvereinigung von Organsiationen rund um das Thema Gesundheit und Umwelt, hat eine „Kinder-Agenda“ aufgestellt. Darin fordert der Bund, Rußfilter in Dieselautos gesetzlich vorzuschreiben. Wichtig, so Petersen, sei auch eine Deklarationspflicht für Kosmetika, Nahrungsmittel, Kleidung und Spielzeug. Eltern sollten in der Lage sein, sich über die Inhaltsstoffe eines Produkts zu informieren. Ausgerechnet Spielzeug verursacht oftmals Krankheiten. Trotz mehrmaliger Beratungen konnte sich die EU noch nicht auf ein generelles Verbot PVC-haltiger Weichmacher in Beißringen, Bauklötzen und Puppen einigen. Giftige Quietscheentchen und Puppen sind weiter erlaubt, wenn sie das Label „Nicht in den Mund nehmen“ tragen. Eine besondere Herausforderung für die unter Dreijährigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen