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„Keine Attentate in Israel selbst“

Nach der Festnahme von Fatah-Chef Barghuti drohen die Palästinenser mit neuen Anschlägen – aber nur in den besetzten Gebieten

JERUSALEM taz ■ Mit der Festnahme von Marwan Barghuti, dem Chef von Arafats Fatah-Bewegung, will Israel nach Meinung führender Fatah-Mitglieder die Palästinenser gezielt provozieren. „Barghutis Verhaftung ist Teil der Strategie des israelischen Ministerpräsidenten Scharon, die legitime palästinensische Führung auszuschalten“, sagte ein Fatah-Mitglied gestern. „Scharon will mit der Verhaftung Barghutis eine Reaktion der Palästinenser provozieren, solange sich US-Außenminister Colin Powell in der Region aufhält.“ Er wolle damit jede Möglichkeit einer von den USA unterstützten politischen Lösung sabotieren.

Damit deutet der Fatah-Funktionär indirekt an, die israelische Armee habe den Aufenthaltsort Barghutis im Norden Ramallahs gekannt und nur auf einen günstigen Zeitpunkt gewartet, um die Verhaftung vorzunehmen. Mit Marwan Barghuti hat die israelische Armee das bisher ranghöchste Mitglied von Arafats Fatah-Fraktion festgenommen. Der 42-Jährige ist für die Palästinenser die Symbolfigur der heutigen Intifada.

Ein weiterer hochrangiger Fatah-Mann erwartet jetzt eine militärische Reaktion der Palästinenser auf Barghutis Verhaftung. Er fügt aber hinzu, Fatah werde versuchen, sein militärisches Vorgehen auf Aktionen gegen Soldaten oder Siedler in den besetzten Gebieten zu begrenzen. Anschläge auf israelische Zivilisten innerhalb Israels sollen ausgeschlossen werden – nicht zuletzt, da Palästinenserchef Jassir Arafat auf Druck Colin Powells Anschläge dieser Art öffentlich verurteilt hat. Auf die Frage, in welchem Umfang seine Organisation die Fatah-nahen Al-Aksa-Brigaden im Griff habe, antwortete der Fatah-Mann: „Wir kontrollieren 90 Prozent.“ Das lässt die Frage offen, was die restlichen zehn Prozent machen.

Unklar ist, wie Fatah als größte palästinensische Organisation auf die israelische Besetzung palästinensischer Städte reagieren wird. „Einmal mehr hat die israelische Regierung bewiesen, dass sie glaubt, uns mit ihrer militärischen Überlegenheit kontrollieren zu können“, sagt Dalal Salame, Mitglied des Fatah-Rates in Nablus. Für sie dient die israelische Invasion keineswegs dem Kampf gegen den Terrorismus. „Das Ziel ist, uns militärisch unter Druck zu setzen, damit wir Scharons politische Bedingungen akzeptieren.“ Am Ende werde Scharon den Palästinensern eine Autonomie anbieten, in denen sie ihre von israelischen Pufferzonen umgebenen Städte selbst verwalten können.

Das betrachten die Palästinenser als völlig inakzeptabel. „Wir wollen ein Ende der Besatzung und einen 100-prozentigen Rückzug Israels aus den 1967 besetzten Gebieten. Keinen 80-prozentigen und keinen 90-prozentigen, schließlich sind wir nicht auf dem Basar“, sagt Fatah-Ratsmitglied Jamal Schubaki.

Auch Schubaki hält ein palästinensisches Angebot für einen Waffenstillstand ohne die Perspektive auf ein Ende der Besatzung für einen falschen Schritt. „Über 50 Prozent der Israelis sind nach Meinungsumfragen für einen palästinensischen Staat. Gleichzeitig unterstützen aber 70 Prozent Scharons Invasion, weil sie glauben, dass damit die Selbstmordanschläge in ihren Städten aufhören“, sagt Schubaki. Also müsse der militärische Widerstand der Palästinenser weitergehen, sich aber auf die besetzten Gebiete konzentrieren, damit man in Israel einen direkten Zusammenhang zwischen der israelischen Besatzung und dem Widerstand der Palästinenser herstellen könne.

Das politische Prinzip ist für die Fatah-Führer klar: Ein Anschlag auf einen israelischen Soldaten oder Siedler werfe für die israelische Gesellschaft Fragen über den Sinn und Zweck der Besatzung auf. Ein Attentat auf einen Bus oder Supermarkt in Tel Aviv oder Haifa führe nur zu einem Schulterschluss aller Israelis. KARIM EL-GAWHARY

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