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Morbide Chansons

Vom Leben gezeichnete Stimme: Thalia Zedek in der Schilleroper  ■ Von Michael Ruff

Es genügte schon, wenn Thalia Zedeks Version von Leonard Cohens „Dance Me To The End Of Love“ auch nur entfernt aus der Nachbarwohnung herüber geweht kam, um sich ihrem Zauber kaum entziehen zu können. Das war mindestens Zarah Leander oder Hildegard Knef, wenn nicht gar Marianne Faithfull, die hier im beschwingten Walzertakt das morbide Lied eines alten Mannes sang, der Tanz und Liebe längst gegen religiöse Erleuchtung eingetauscht hat, und dessen Biographie keinerlei Parallelen mit der eines New Yorker Ex-Junkies aufzuweisen hat.

Doch das dräuende Schicksal, das in Cohens Songs allgegenwärtig ist, birgt auch die Chance der Läuterung, und diese hat Thalia Zedek vollauf genutzt. Und das nicht nur Dank Cohens Feder, sondern, wie im vergangenen Jahr auf ihrer ersten Solo-CD Been Here And Gone zu hören, weitestgehend aus eigener Kraft. Denn auch auf ihren eigenen Songs entwickelt ihre androgyne Stimme vor geschmackvollen Arrangements hypnotisierende Wirkung.

Dabei war es nicht unbedingt vorauszusehen, dass sie in ihrer langen Karriere irgendwann einmal ganz entspannt morbide Chansons von sich geben würde. Obwohl die aus Washington, DC stammende Chanteuse meist an der amerikanischen Ostküste agierte, erschienen ihre ersten Gehversuche auf Seat-tles berühmten SubPop-Label – „Smile On Your Face“ hieß der Beitrag zum SubPop 100-Sampler, und ihre (All-Girl-)Band nannte sich Dangerous Birds. Es folgte ein kurzlebiges Projekt namens Uzi, bevor sie sich 1987 der New Yorker Noise-Combo Live Skull anschloss und als deren Frontfrau erstmals größere Aufmerksamkeit in der Indie-Rock-Gemeinde erregte. Das Problem war nur, dass es Sonic Youth bereits gab und Live Skull mit gewissem Recht als deren Abziehbild betrachtet wurde – ganz abgesehen davon, dass ihre Stimme inmitten all der übersteuerten Gitarren kaum eine Möglichkeit hatte, besonderen Charme zu entfalten.

Es musste also etwas eigenes her, und als Thalia Zedek Anfang der Neunziger mit Ex-Codeine-Drummer Chris Brokaw die Gruppe Come formierte, kam endlich der erhoffte Durchbruch. Brokaw wechselte bei dieser Gelegenheit zur Gitarre, und sein dissonanter, doch immer zurückhaltender Stil vertrug sich gut mit Zedeks vom Leben gezeichnetem Gesang. Nun musste sie nicht länger gegen irgendwelchen Krach ankreischen, womit sich plötzlich ungeahnte Freiräume ergaben, die ihrer persönlichen Stimmentwicklung mehr als gut taten. Manche sprachen schon damals vom weiblichen Tom Waits – nicht unberechtigt vielleicht, aber doch verfrüht.

Von 1992 bis 1998 veröffentlichten Come vier Alben und spielten darüber hinaus eine tragende Rolle als Backing-Band des Kult-Songwriters Steve Wynn auf dessen Album Melting In The Dark (1994). Während Bassisten und Schlagzeuger kamen und gingen, entwickelte das Duo Zedek/Brokaw den spröden Alternative Rock ihres Debüts Eleven: Eleven zu einen zunehmend differenzierten Sound, der auf ihrer letzten (und besten) Platte Gently Down The Stream zu einem kleinen Meisterwerk kumulierte. Danach war Schluss mit der Pärchenbildung und damit auch mit der Band, doch die Ansätze und den schon damals spürbaren Wunsch, ihre Songs von allen Rock-Manierismen zu befreien, hat Thalia Zedek auf Been Here And Gone mit gewisser Bravour verwirklicht.

Begleitet wird Thalia Zedek bei ihrem Konzert in der Schilleroper von David Michael Curry (Viola, Ex-Willard Grant Conspiracy) und Yuko Murata (Piano). Mit David Coughlin hat sie auch einen Schlagzeuger dabei, aber ob dieser angesichts der notorischen Lärmempfindlichkeit der Anwohner zum Einsatz kommen darf, ist eher fraglich. Im Vorprogramm spielen Red (Missouri) und Sascha Steinfurth, für ein Album Teil von Come, kurze Akustiksets.

Sonnabend, 21 Uhr, Schilleroper

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