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Ekel vor dem Irrelevanten

Sebastian Hartmann inszeniert „Biedermann und die Brandstifter“ am Schauspielhaus als Spießer-Collage  ■ Von Christian Rubinstein

Wie tief geht der Firnis der Zivilisation? Wie sicher sind die alltäglichen Bequemlichkeiten unserer Wohlstandswelt? Sebastian Hartmann hat sich am Schauspielhaus die subjektive Sicherheitslage in Zeiten des Terrorismus vorgeknöpft. Seine Interpretation von Frischs Biedermann und die Brandstifter, die am Mittwoch Premiere hatte, ist eine Collage von Schreckensvisionen eines Spießers. Mal Farce, mal ernster Dialog. Die bunte Mischung hatte Power. Die Wohnung wird in der Inszenierung zum ultimativen Rückzugsraum. Und im Idealfall bleiben die Probleme eben draußen vor der verriegelten Haustür.

In Frischs Stück allerdings lassen sich die gesellschaftlichen Probleme nicht mehr leugnen. Herr Biedermann (Peter René Lüdecke) ist ein kapitalistischer Ausbeuter und schwadroniert über die Todesstrafe. Doch als ihm die Gefahr ganz konkret im Alltag gegenübersteht, windet er sich. Er wagt es nicht, die Brandstifter zu vertreiben, die sich bei ihm einnisten.

Da bei Frisch auch noch ein Chor der Feuerwehrleute auftritt, gibt es schon ganz oberflächlich Anknüpfungspunkte für eine Inszenierung mit Bezug auf den 11. September. Doch auch die teils paranoiden Reaktionen westlicher Gesellschaften auf das Attentat werden bei Hartmann offenbar: So hat die Biedermann'sche Wohnung im Schauspielhaus nichts Unversehrtes mehr. Überwachungskameras sind in jedem Raum und übertragen das Geschehen auf eine Videoleinwand. Meist ungesehen, wie aus einer Geisterwelt, sind zudem die Kräfte des Guten und des Bösen unterwegs: Der Feuerwehrmann als unentwegt wachsamer Retter gibt sich – auch dies hat man seit New York tausendmal gesehen – dem Pathos eines bescheidenen Helden hin. Subtile Ironie? Und, Chronologie rückwärts, auch die Brandstifter sind längst da und schleichen durchs Haus.

Hartmann, der auch sein eigener Bühnenbildner war, hat hier einen idealen Spielort geschaffen. Glaswände und Schwingtür verschaffen einen Durchblick ins Schlafzimmer und die Küche. Der Dachboden ist ebenfalls ständig einsehbar. So sind alle Personen fast immer präsent und ergänzen durch ihr Spiel kommentierend das Geschehen. Die Videoprojektionen steuern zusätzliche Perspektiven bei. Zu sehen ist Herr Biedermann, der nur noch mit Tabletten schlafen kann. Als er erwacht, scheint er erst recht auf Droge zu sein. Alle hüpfen zur Musik durch die schicke Wohnung. Das superhübsche Dienstmädchen macht gut gelaunt sauber, der Springbrunnen plätschert. Durch den Wintergarten sieht man das Panorama der Binnenalster. Frau Biedermann rekelt sich im Bett und liest Magazine. Ein trügerisches Pseudo-Idyll. Denn leicht packt den Hausherrn der Ekel: Schon ein abgegessener Apfel bringt ihn aus dem Gleichgewicht. Eine schöne Überzeichnung des „Zero tolerance“-Gedankens. Tatsächlich kommen die Obstreste aus den Händen der üblen Genossen, die sich plötzlich auf sein Sofa flegeln. Biedermanns Albtraum nimmt seinen Lauf.

Regisseur Hartmann hat das Stück noch weiter modernisiert und mit Zusätzen versehen. Das Hausmädchen Anna ist eine Migrantin, die wartet auf die Einbürgerung. Frischs Benzinfässer sind bei Hartmann Flüchtlinge, die auf dem Dachboden Zuflucht finden. Warum nur?

Nach der Pause schließlich kommen die beiden Brandstifter mit einem Solidaritätspfennig „Rettet den Wald“ vor den Vorhang. Sie debattieren über die globale Erwärmung. Eine wenig originelle Neuauflage der Frage, was man mit der Ahnung riesiger Umweltschäden denn nun in seinem Privatleben anfangen soll. Bevor alles in schönen Schlussbildern endet, geht der zweite Teil etwas holpriger dahin. Feuer wird gespuckt, Papierflieger im brennenden Kamin versenkt. All dies wirkt aufgepfropft. Am Ende feiern die Biedermanns Wiederauferstehung. Zusammen mit ihrer Stadt, die natürlich schöner ist als zuvor: „Das Feuer war ein Segen, städtebaulich betrachtet.“

nächste Aufführungen: 23. und 26. April, jeweils 20 Uhr, Schauspielhaus

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