„Das war falsch“

Renate Schmidt über Fehler bei der Finanzierung der Familie, „das zentrale gesellschaftspolitische Thema der nächsten zehn Jahre“

taz: Schweden gibt prozentual genauso viel Geld für Familien aus, hat aber viel mehr Möglichkeiten geschaffen, Familie und Beruf zu vereinbaren. Was machen wir falsch?

Renate Schmidt: In Schweden fließen 72 Prozent in den Bereich Betreuung und Schule – bei uns nur 40 Prozent. Das meiste, 60 Prozent, geben wir für direkte Familienförderung aus. Trotzdem gibt es in Schweden weniger Familienarmut, weniger Kinderarmut als bei uns. Denn dort können eben mehr Eltern auch erwerbstätig sein. Wir haben uns in Westdeutschland in den letzten Jahrzehnten fast ausschließlich übers Geld für Familien gestritten. Das war falsch. Denn wir haben das wesentliche Problem übersehen – nämlich wie wir die Betreuung verbessern.

Aber Rot-Grün hat 1998 das Kindergeld erhöht und will es weiter anheben. Also noch mehr direkte Subvention. Ist das falsch?

Nein. In der Bundesrepublik ist der Bund zuständig für die finanziellen Leistungen, Länder und Kommunen sind zuständig für Bildung und Betreuung. In den nächsten vier Jahren muss es um mehr Betreuung gehen, um Krippen, Kindergärten, Ganztagsschulen. Bei der Bildung ist der Bund nicht zuständig, aber er kann einen Anschub, einen Kick geben. Dafür sind die 4 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren vorgesehen: Damit werden ein Viertel aller Schulen zu Ganztagsschulen.

Derzeit ist Familienpolitik angesagt. Das war nicht immer so. Ist das nur ein Wahlkampfeffekt?

Nein, dafür gibt es viele Gründe. Wir leben in Zeiten rasender gesellschaftlicher Veränderungen. Daher der Wunsch von vielen jungen Leuten nach einem Halt, nach Familie – wobei die anders aussehen kann als in meiner Generation. Daneben gibt es auch so genannte harte Gründe: Die Wirtschaft braucht, trotz Arbeitslosigkeit, mehr Fachkräfte. Und es gibt den demographischen Druck. Bei unveränderter Geburtenentwicklung wird es 2040 nicht mehr 37 Millionen Arbeitnehmer geben, sondern nur 24 Millionen. Davon die Hälfte älter als 45 Jahre. Ich will niemandem Kinder einreden, aber junge Menschen wünschen sich mehr Kinder, als sie tatsächlich bekommen. Die Politik muss die Bedingungen schaffen, dass diese Wünsche Wirklichkeit werden können.

Sie haben gerade ein lesenswertes Buch veröffentlicht: „S.O.S. Familie“. Befürchten Sie nicht, dass die Konjunktur des Themas Familie am 23. September ziemlich abrupt beendet sein wird?

Nein. Ich beschäftige mich seit 20 Jahren mit Familienpolitik. Ich glaube, ich habe mittlerweile ein Gespür dafür, wie es um das Thema steht. So eine Konstellation wie derzeit gab es in den letzten zwanzig Jahren nicht. Wir haben Pisa, die Diskussion um die Demographie und den Arbeitskräftemangel, der zunehmen wird. Familienpolitik wird das zentrale gesellschaftspolitische Thema der nächsten zehn Jahre werden.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE