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Der flüchtige Preisträger

Der im Untergrund lebende baskische Schriftsteller Joseba Sarrionandia erhält den Literaturpreis der spanischen Kritik

Betonmauern, Sichtblenden, Stacheldraht: Das spanische Stammheim heißt Herrera de la Mancha und liegt im kastillischen Niemandsland. Der Gefangene Joseba Sarrionandia schrieb auf, was er, dort weggeschlossen, empfand. Das in dieser harten Schriftstellerschule entstandene Werk heißt „Von nirgendwo nach überall“ (Verlag Libertäre Assoziation, Hamburg 1995). Es ist wirr und doch klar, emotional und doch durchdacht. Dafür erhielt Sarrionandia 1987 seinen ersten Preis, den des besten baskischen Poeten des Jahres.

Jetzt, 15 Jahre später, versucht sich der Dichter ertmals an einem Roman: „Der gefrorene Freund“. Und er wird erneut gewürdigt. Am vergangenen Wochenende erhielt Sarrionandia den Preis der spanischen Kritik in baskischer Sprache. Es kam zum Eklat. Denn die begabte Feder ist Mitglied der baskischen Separatistenorganisation ETA. Deshalb saß er fünf Jahre in Herrera de la Mancha und anderen Gefängnissen, bis er seiner Haft selbst ein Ende setzte. 1987 nutzte Sarrionandia am Tag des San Fermín, das einst Hemingway inspirierende Fest, den Auftritt des bekannten baskischen Liedermacher Inmanol im Gefängnis von San Sebastián, um in einer Lautsprecherbox versteckt zu fliehen.

17 Jahre ist das her. Keiner weiß, wo sich der heute 44-Jährige aufhält. Nur seine gelegentlichen Lebenszeichen in Form von Büchern kennt im Baskenland jeder. Sie füllen die Schaufenster und führen nicht selten die Verkaufslisten an. Kein Liedermacher, kein Rockmusiker, der auf sich hält, kommt darum herum, seine Gedichte zu vertonen. Und kein Fest, auf dem nicht zu der Würdigung der Rockgruppe Kortatu auf den Geflohenen getanzt wird. „Sarri, Sarri, Sarri“, singen alle den wilden Ska-Refrain mit.

Für Sarrionandias nicht enden wollenden Gedankenmosaike, seinem Springen von einem Thema zum anderen, ist ihm jedes Thema recht: ausgesponnene Szenen mit Franz Kafka als Hauptperson, der Mensch als Egozentriker, die überwältigende Größe des Firmaments, einfach nur Nachdenkliches zu den Schlagzeilen der Flucht von Napoleon Bonaparte von Elba, moderne oder nicht mehr ganz so junge Philosophie, von baskischer bis zu griechischer Mythologie oder die einfache Einsicht: „Die Welt ist schlecht.“

Nur auf ein Thema kommt der baskische Poet ständig zurück: den Versuch zu definieren, was Sprache ist, wozu sie dient, wo sie sich verwurzelt. Eine Sorge, die er mit vielen baskischsprachigen Autoren teilt.

In einem Dorf in Bizkaia in den dunkelsten Jahren der Franco-Diktatur geboren, beschäftigt sich Sarrionandia immer wieder mit der Frage der Identität. Was ist Tradition? Was heißt, Baske zu sein? Er sucht Antworten ohne Überheblichkeit gegenüber anderen Kulturen, die er schätzt und in deren literarischer Tradition er sich sieht. Er lässt sich von Schriftstellern wie Pessoa, Dylan Thomas, Vladimir Holan oder Elitis inspirieren.

Trotz harscher Kritik an der Preisverleihung an Sarrionandia durch die Presse lassen sich die Literaturexperten nicht beirren. Für sie ist der Flüchtige einer der besten baskischen Autoren der 80er- und 90er-Jahre. „Wir haben ein Werk und keinen politischen Werdegang ausgezeichnet. Wir schauen nicht darauf, ob einer links, rechts oder sonst wo steht“, verteidigt ein Sprecher des Kritikerverbands die Entscheidung.

REINER WANDLER

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