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Der Geist von FJS

aus Rott am Inn STEFAN KUZMANY

Schön ist es hier. Die Sonne strahlt aus wolkenlosem Himmel. Saftig die Wiesen, die Alpen nah. Oberbayern wie aus dem Bilderbuch. Wenn es ihn noch gibt, den Geist von Franz Josef Strauß – hier muss er zu finden sein.

Über den Bayernpatriarchen erzählt man sich, er habe einmal seine engsten Untergebenen aufgefordert, ihm Vorschläge für seine letzte Ruhestätte zu präsentieren. Eilfertig überboten sich die Schranzen, ihrem Meister mit bedeutenden Grabstellen zu schmeicheln: die Pyramiden von Gizeh, der Gipfel des Mount Everest. Oder wie wäre es mit dem Collosseum in Rom? Nein, nichts davon schien angemessen. Endlich, sagt man, hatte Edmund Stoiber eine Idee, die als einzige der Bedeutung des Landesvaters entsprach: Strauß solle dereinst im Heiligen Grab zu Jerusalem lagern. Doch der, nach kurzem Zögern, winkte missmutig ab: „Der ganze Aufwand lohnt sich doch nicht – für die läppischen drei Tage.“

Mit der Auferstehung ist es bisher nichts geworden. Bald 15 Jahre ist Strauß mausetot. Er hat sich schließlich doch eine etwas bescheidenere Ruhestätte gesucht: hier, in der „Kaisergruft“ in Rott am Inn, einer 3.500-Seelen-Gemeinde zwischen Rosenheim und Wasserburg, dem Heimatort seiner Ehefrau Marianne, geborene Zwicknagel. „Kaisergruft“ – der Name ist nicht etwa eine nachträgliche Ehrung des Landesvaters. Kaiser ist vielmehr der Name einer in Rott lange Zeit herrschenden Brauer-Familie, verwandt mit den Zwicknagels.

Vor dem Kirchplatz, wo die Rotter ihre gefallenen Soldaten mit einer steinernen Tafel ehren, steht eine Bank in der Sonne. Darauf sitzt Gerdi, 75 Jahre alt, graues Haar, wache Augen, und raucht ihre dritte Zigarette des Tages. Es ist ein mühsames Leben. Gerdi haben sie achtmal operiert, sie schildert jeden Eingriff. Nichts Süßes kann sie mehr essen. Wenn sie doch etwas Süßes isst, kommt ihr sofort die Galle hoch und rinnt ihr durch die Nase. Einen eitrigen Blinddarmdurchbruch hat sie überlebt. Und unzählige Magengeschwüre. Sie haben ihr den Unterleib aufgeschnitten, und „der ganze Dreck“ ist ihr aus den Gedärmen gelaufen.

Nach dem Krieg hat sie allein den Familienhof bewirtschaftet, der Bruder war in Gefangenschaft. Die Pferde, die sie hatte zum Pflügen, haben sie ihr genommen, da musste sie Ochsen einspannen. Brav waren die, aber langsam. Das hat die Gerdi geärgert, so sehr, dass sogar der Dorfpfarrer informiert worden ist, dass die Gerdi so viel flucht und dass das so nicht weiter gehen kann. Der Pfarrer! Sollte der sich doch einmal den ganzen Tag hinter Gerdis Ochsen stellen, da hätte er sicher auch geflucht.

Ja, der Strauß. Da hinten liegt er. „Der hat das Geld zusammengerafft“, sagt Gerdi, aber nicht abschätzig, sondern wie eine, die selbst gern ein wenig mehr gehabt hätte von ihrem kargen Leben. Sein Sohn sei ja zur Zeit da, der Max, der habe ja hier eine Wohnung. „Der ist fett wie sein Vater. Widerlich“, sagt Gerdi, denn Max Strauß begeht täglich eine große Sünde: Er grüßt nicht. Hier, auf dem Land, grüßt man. Freundlich. Und man grüßt freundlich zurück. Nur der Strauß Max, der läuft hier herum, als sei er etwas Besseres: „Der ist sich zu groß für uns.“ Nicht, dass Gerdi etwa politische Vorbehalte hätte. Natürlich ist sie eine Anhängerin der CSU. Der Bürgermeister Georg Maier von den Christsozialen, der hätte ihre Stimme bei der Wahl Anfang März schon bekommen. Aber sie hat sich nicht wohl gefühlt am Wahlsonntag, und außerdem haben sie ihr gesagt, dass der Maier Georg sie gar nicht braucht. Tatsächlich. Die Gemeindeverwaltung gab als Ergebnis bekannt: 1.665 gültige Stimmen, davon 1.570 für Maier. Übrige Bewerber insgesamt: 95.

Natürlich kann Gerdi den Weg zur Gruft zeigen, kann zeigen, wo der Strauß-Sohn wohnt und wo der Bürgermeister seinen Amtssitz hat. Es ist auch gar nicht schwer. Gerdi muss sich nur umdrehen. Sie zeigt auf den Gebäudekomplex am Kaiserhof. Bayern in konzentrierter Form. Die bajuwarische Dreifaltigkeit unter einem Dach vereint. In der Mitte die berühmte katholische Barockkirche St. Marinus und Anianus, zur Zeit wegen Renovierung geschlossen. Im linken Flügel der Amtssitz des Bürgermeisters. Im rechten Flügel wohnt Max Strauß. Unter seiner Wohnung befindet sich ein Durchgangstunnel zum Friedhof.

Der helle Kies reflektiert die warmen, hellen Strahlen der Frühlingssonne auf dem Friedhof hinter der Klosterkirche. Dunkler Marmor, goldene Inschriften. Zur Gruft der Familie des ehemaligen Ministerpräsidenten geht es eine kleine Treppe hinab. Hanglage. Gerade müht sich eine weitere alte Frau die Stufen hinauf, augenscheinlich wohlhabender als Gerdi. Lodenmantel, das silbergraue Haar gepflegt. Kann sie etwas sagen über Rott und den Geist von Franz Josef Strauß? Sie zögert. Sie sei ja gar nicht aus Rott, eine Fremde. Doch erst seit vierzig Jahren lebe sie hier. Ja, den Strauß, den habe sie schon gekannt. Der saß noch mit ihrem Mann am Stammtisch. Ein guter Redner. Viel mehr kann sie über ihn nicht sagen, sie sei doch fremd. Lieber erzählt sie, wie sie hierher gekommen ist und wie es Fremden ergehen kann.

Sie kam nach Rott, weil das Münchner Haus kaputt war nach dem Krieg und das des Großvaters in Rott noch stand. Ihr Großvater, aus Osteuropa stammend, hatte sich hier als Arzt niedergelassen. Er schafkopfte gern und war ein angesehener Bürger. Bis er einmal einen seiner Dorfnachbarn in die Heilanstalt einweisen musste. Der Nachbar wurde nach kurzer Zeit wieder entlassen. Eines folgenschweren Abends des Jahres 1922 erhob sich Dr. Moeller vom Stammtisch, um den Abort aufzusuchen. Da folgte ihm sein bayerischer Patient. Als Dr. Moeller an den Tisch zurückkehrte, schwankte er, brach zusammen und starb. Er hatte ein Messer im Rücken stecken. Die Gebeine des Ermordeten lagern auf der anderen Seite des Friedhofs, unter den Fenstern von Max Strauß.

„Wo ist denn das Grab von der Familie Strauß?“, will eine schwarz gewandete, deutlich hörbar norddeutsche Frau mittleren Alters wissen. Goldrandbrille. Landhausstil. „Da haben sie ihn hinuntergelegt“, weist die 80-jährige Arztenkelin freundlich den Weg. So freundlich, dass die Norddeutsche sicher nicht ahnt, was sie sagt, nachdem die Besucherin außer Hörweite ist: „Wissen’s, ich mag keine Preißn. Die werden jetzt wieder in Horden kommen, wenn im Juli die Klosterkirche wieder eröffnet wird, wenn die Renovierung beendet ist.“ Gerade kommen einige kunstinteressierte Touristen aus der Kirche, die trotz Besichtigungsverbot Einlass bekamen; der Reiseveranstalter hat ein Spezialarrangement mit der Verwaltung ausgehandelt.

Sie selbst schaut nur selten zum Strauß hinein. Es sind eher die Fremden, die sich zur Kaisergruft hingezogen fühlen. Wenn man sie betritt, geht automatisch das elektrische Licht an. Strauß und seine Frau liegen hier, daneben die Verwandten der Marianne Strauß, geborene Zwicknagel. Der „CSU-Freundeskreis Vogelsberg“ hat frische Blumen abgelegt, ein Gesteck der Strauß-Kinder ist da, ein wenig Weihwasser zum Besprenkeln des Grabes, ein Dauerkranz der Stadt München. Und einer zum „50. Jubiläum der Inauguration“, Amtseinführung. Das Wort stiftet Verwirrung bei den älteren Herrschaften, die sich grüppchenweise der Ruhestätte nähern. „Da, schau, Inau… was ist denn das?“ Andere benetzen stumm die Ruhestätte mit Weihwasser und verlassen das kleine Gemäuer mit Tränen in den Augen. Neben dem Eingang grast ein Schaf.

Nicht nur Trauernde und Verehrer kommen hierher. Zweimal im Jahr durchschnittlich muss die Wasserburger Polizei wegen Störung der Totenruhe ermitteln. Erst letzte Woche hat jemand einen Kranz aus der Gruft geworfen und zwei der bleiverglasten Scheiben eingeworfen. Von den Tätern fehlt jede Spur.

Fremde fallen hier schnell auf. Fast alle Autos tragen als Kennzeichen „RO“ für Rosenheim, das ist der Landkreis. Die meisten fahren mit dem Kennzeichen „RO – TT“. Man gibt Acht. Wenn man ein altes Auto mit auswärtigem Kennzeichen in der Nähe der Kirche abstellt, kann es passieren, dass eine junge Frau daneben parkt und wissen will, ob man von hier und wo denn die Post sei. Dabei parkt sie direkt vor dem Postamt.

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