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Mahnstein gegen Folter

Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel muss indirekt Lebensgefahr bei Brechmitteln einräumen. Aktionswoche an der Uniklink  ■ Von Kai von Appen

Das UKE verfügt als erste Klinik über einen Friedhof – zumindest symbolisch. Gestern stellten AktivistInnen vom Flüchtlingsrat am UKE-Haupttor einen Grabstein auf, der an die tödliche Behandlung des 19-jährigen mutmaßlichen Dealers Achidi John erinnern soll. Damit ist zugleich eine Aktionswoche gegen die „Folter Brechmittel“ am UKE eröffnet worden. John war am 9. Dezember 2001 im Institut für Rechtsmedizin gewaltsam per Sonde das Kotzmittel „Ipecacuanha“ eingeflößt worden. Er erlitt einen Herzstillstand, der den Hirntod auslöste.

Indes hat der Leiter der Rechtsmedizin, Professor Klaus Püschel, eine indirekte moralische Mitschuld am Tod des Kameruners einräumen müssen. Püschel hatte im Juli 2001 den Einsatz des mexikanischen Sirups als Vomitivmittel für völlig unbedenklich erklärt und die Kehrtwendung des damaligen Senats eingeleitet. Bis dato hatte Rot-Grün stets die Vergabe als zu gefährlich abgelehnt. Inzwischen gesteht Püschel ein, dass die Vergabe durch eine Sonde bei einem ungesunden Menschen doch Lebensgefahr in sich birgt. So soll Achidi John eine Herzerkrankung gehabt haben, sagte Püschel unter Bezug auf ein bislang geheimes Gutachten über eine feingewebliche Untersuchung. Diese Erkrankung könnte auf mehrere kleinere Herzinfarkte zurückzuführen sein, die durch den in einer Haarprobe nachgewiesenen Kokskonsum ausgelöst worden seien, sagte Püschel dem Hamburger Abendblatt. Zum Zeitpunkt des Brechens stand Achidi John nicht unter Drogen und bei der Voruntersuchung sei der Herzfehler nicht festgestellt worden.

Wer aber die Praxis der Voruntersuchungen aus Vergleichsfällen kennt, den wundert das nicht. So stellte sich im Prozess gegen den mutmaßlichen Dealer Alpha Z. heraus, dass die Ärztin Ute Lockemann wegen der Zeitnot bei Ruf-Bereitschaften an Wochenenden überhaupt keine intensive Untersuchung vornimmt. Denn das Mittel muss zwei Stunden nach Verschlucken verabreicht werden, wenn die Kügelchen nicht im Darm verschwinden sollen. Im Fall von Alpha Z. übernahm alle Vorbereitungen eine Kripobeamtin. Vor der Vergabe fand keine Untersuchung oder medizinische Information statt – geschweige denn per Dolmetscher. Dabei war die Erkrankung von Achidi John in seinem Freundeskreis bekannt. Es ist also unwahrscheinlich, dass er ausgerechnet diese verschwiegen hätte, zumal sie ihm den Einsatz womöglich erspart hätte.

Damit gehen die Vorermittlungen gegen alle Beteiligten in eine neue Phase: Denn noch immer ist unklar, ob die nach dem Kollaps eingeleitete Reanimation nicht zu spät erfolgte. Püschel hatte schon am 9. Dezember zugegeben, dass Erste Hilfe erst nach Minuten geleistet worden ist, da das komahafte Zusammensacken wegen der psychischen und physischen Stresssituation „völlig normal“ sei.

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