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Die FDP, vom eigenen Sieg überrascht

So richtig kann das Ergebnis dieser Wahl niemand erklären: Denn eine Richtungswahl wollte selbst die CDU nicht

MAGDEBURG taz ■ Man habe ihn erst zum Jagen tragen müssen, sagen die einen. Er habe seit 1998 seinen Weg in die Staatskanzlei am Magdeburger Domplatz beharrlich vorbereitet, meinen die anderen. Nun wird der 66-jährige Arzt Wolfgang Böhmer in einem Alter Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, das an das Kanzler Adenauers bei seinem Amtsantritt 1949 erinnert. Nicht dass er sonderlich populär in der Bevölkerung wäre. Nicht dass er im Wahlkampf besonders polarisiert hätte. Sogar den Begriff „Richtungswahl“ hörte man von ihm in den letzten Wochen seltener. Und gegen den Menschen Reinhard Höppner wollte er schon gar keinen Wahlkampf führen.

Das Prinzip Hoffnung aber bringt Böhmer und die CDU nun nach acht Jahren rot-rotem Tolerierungsmodell erneut an die Macht. Während etwa zur vorjährigen Kommunalwahl in Sachsen noch der CDU-Wahlslogan „Der Wechsel ist noch kein Programm“ galt, probierte es die Union in Anhalt mit dem Gegenteil. Sollen es doch mal die anderen versuchen, meinten offenbar auch die wenigen, die zur Wahl gingen.

Auf die gleiche Karte setzte die überaus erfolgreiche FDP: „Damit hier endlich was passiert!“, plakatierte sie. Am Wahlabend machten Liberale auch die kräftige Unterstützung der Bundespartei und den „Spaß“ beim Wahlkampf dafür verantwortlich. So als hätte man selbst nicht an den Wiedereinzug in den Landtag glauben wollen, blieb das FDP-Verbindungsbüro im Landtag am Wahlabend lange geschlossen.

Für den scheidenden Ministerpräsidenten Reinhard Höppner gab es einen alles andere als spaßigen Abend. Als er in der sinkenden Sonne vor die hübsche barocke Staatskanzlei trat und erklärte, dass er für politische Aufgaben nicht mehr zur Verfügung stehe, wirkte er nicht nur verbittert, sondern auch irgendwo erleichtert. Dann schloss sich die Tür wieder – „keine weiteren Interviews an diesem Abend“. In seiner SPD-Landtagsfraktion herrschte zunächst geisterhafte Stille, als um 18 Uhr die erste Prognose erschien. Dann rutschte das erste „Oh Scheiße!“ heraus, gleich danach begann man mit Schuldzuweisungen. Sozialministerin Gerlinde Kuppe sprach es ebenso aus wie Innenminister Manfred Püchel, der neue starke Mann der Landes-SPD: Die Wähler hätten Defizite des Magdeburger Modells nur der in Regierungsverantwortung stehenden SPD angelastet. An der Darstellung eigener Leistung habe es gefehlt.

Dem widersprach PDS-Spitzenfrau Petra Sitte natürlich energisch. Die Sozialisten seien auch zuvor schon de facto als Regierungspartei wahrgenommen und in die Pflicht genommen worden. Im SPD-Wahlergebnis sieht sie hingegen eine deutliche Kritik an der „Chefsache Ost“ von Kanzler Schröder.

Der Magdeburger Adlatus der Hamburger Schill-Partei, Ulrich Marseille, zog sich gestern auf den Minimalismus zurück, zumindest Rot-Rot verhindert zu haben. Michael Kausch, zuvor im SPD-Landesvorstand und nun auf Platz 1 der Schill-Landesliste, wollte keine Schadenfreude gegenüber seiner Expartei äußern. Einigermaßen leidenschaftslos verfolgten die Schill-Anhänger ihre Zitterpartie um den Einzug in den Landtag. Gebraucht werden sie zur Regierungsbildung jedenfalls nicht.

Eine vorläufige Analyse der schwachen Wahlbeteiligung zeigt, dass vor allem junge Wähler unter 30 Jahren den Urnen fernblieben. Am Wetter kann es nicht gelegen haben. Die Straßencafés in Magdeburg waren voll besetzt. Und der deutsche Handballmeister SC Magdeburg hatte für Stimmung gesorgt, als er im ungarischen Veszprém die Weichen auf den Titel in der Champions League stellte. MICHAEL BARTSCH

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